Im kollektiven Unterbewusstsein mag sie vielleicht noch hie und da schlummern, die Erinnerung an die deutsch-französische Feindschaft. Doch politisch ist sie seit der Annäherung zwischen Charles de Gaulle und Konrad Adenauer, spätestens aber durch Helmut Kohl und Francois Mitterand überwunden. Wenn heutzutage Emmanuel Macron und Angela Merkel Meinungsverschiedenheiten austragen, ist schnell von einer Beziehungskrise die Rede. Doch diese Scharmützel sind ungefähr so harmlos wie ganz gewöhnliche Allerweltsfouls im Fußball.
Womit wir beim Thema wären.
Deutschland und Frankreich sind im Halbfinale der Champions League in trauter Viersamkeit vereint und dürfen nun auf dem grünen Rasen ermitteln, wer denn nun der Stärkere ist. Nach Paris St. Germain, RB Leipzig und dem FC Bayern wurde auch Olympique Lyon in den Stand der europäischen Fußball-Aristokratie erhoben.
Der neue Adel fühlte sich daher auch umgehend bemüßigt, zuvor erlittene Demütigungen mit einem eleganten Konter zu parieren. Kylian Mbappe, der mit seinem Hochgeschwindigkeitsfußball der gesamten Mannschaft von Paris St. Germain Beine macht, ließ es sich nicht nehmen, der Arroganz der großen drei der vergangenen 30 Jahre einen trockenen Kurzkommentar hinzuschleudern. „Farmers League“, „Bauern-Liga“, postete der 21-jährige Franzose nach dem 3:1-Erfolg von Lyon über Manchester City.
Das war natürlich kein Angriff auf die europäische Landwirtschaft, sondern eine einfache Replik auf britischen Hochmut. Der Siebentplatzierte der von englischer Seite zuvor nicht selten abgekanzelten französischen Ligue 1 hat den Vizemeister der hochgelobten Premier League aus dem Turnier geworfen. Erstmals seit der Saison 1990/91 ist kein Team aus England, Spanien oder Italien unter den letzten vier des wertvollsten europäischen Klubbewerbs zu finden. Damals hieß die Champions League noch Europacup der Meister.
Jetzt sind also Deutschland und Frankreich unter sich.
Sind sie es wirklich?
Nun, in der heutigen multinationalen Fußballgesellschaft mutieren die Einheimischen in den jeweiligen Klubs mitunter zu Minderheiten. Mbappe etwa war bei Paris St. Germain nur einer von zwei im Match gegen Atalanta eingesetzten Franzosen im 16-köpfigen Aufgebot. Bei Lyon sind immerhin sechs Spieler (von 15) aus dem Match gegen Manchester City der Grande Nation zuzuordnen. Leipzig wiederum hatte nach dem Abgang von Timo Werner nur noch zwei Deutsche in den eigenen Reihen, dafür drei Franzosen. Lediglich der FC Bayern tanzt hier aus der Reihe, denn gleich sechs Deutsche standen beim unbegreiflich überragenden 8:2 gegen Barcelona in der Startaufstellung der Münchner. Dass drei Franzosen eingewechselt wurden, sei an dieser Stelle am Rande erwähnt.
Nicht nur wegen des unglaublichen Resultats gegen Barca gelten die Bayern nun als Topfavorit auf den Gewinn der Champions League. Der deutsche Rekordmeister trifft am Mittwoch auf die krassen Außenseiter aus Lyon, die mit den Großklubs regelrecht aufräumten. Ehe Manchester City dran glauben musste, war die Mannschaft von Trainer Rudi Garcia – das ist derjenige, der mit Olympique Marseille 2017/18 Salzburg im Europa-League-Halbfinale bezwungen hatte – schon gegen Juventus erfolgreich geblieben. Schon am Dienstag werden die Novizen von Leipzig gegen Paris St. Germain auf die nächste große Bewährungsprobe gestellt.
Und so begegnet der Österreicher Marcel Sabitzer dem brasilianischen König der Jammerer, auch Neymar genannt. Der Pole Robert Lewandowski steht dem niederländischen Lyon-Stürmer Memphis Depay gegenüber. Und Spanien ist immerhin noch durch sechs Spieler in den Aufgeboten der vier Halbfinalisten vertreten. Aber das ist natürlich nur ein sehr schwacher Trost.