Den Großteil seines Lebens hatte Suman Miah eigentlich noch vor sich. Ja, es türmte sich geradezu auf in Gestalt der Fußball-Weltmeisterschafts-Stadien in Katar, an deren Errichtung der Bauarbeiter aus Bangladesch mit der Aussicht auf ein besseres Dasein mitwirkte. Doch der Aufbau einer schöneren Existenz spitzte sich in einer Katastrophe zu. Der 34-Jährige war der enormen Hitze nicht gewachsen, er starb nach einer überlangen Schicht am 29. April 2020 unter unwürdigen Bedingungen.
Das war nicht das Ende vom Leid, sondern für die Angehörigen erst der Beginn. Die katarische Obrigkeit dürfte der Tod eines Arbeitsmigranten nicht gekümmert haben, jedenfalls fanden sie es nicht der Mühe wert, die Familie vom traurigen Schicksal des Vaters zweier Kinder in Kenntnis zu setzen. Kollegen haben diese belastende Aufgabe übernommen. Die Frau war verzweifelt. "Ich konnte die Nachricht zunächst nicht glauben. Ich hatte noch ein paar Stunden zuvor mit ihm gesprochen", erzählte Sumi Akter Mitarbeitern von Amnesty International, welche die Hinterbliebenen in Bangladesch aufgesucht hatten.
Die Tragödie gipfelte in der fortgesetzten Ungerechtigkeit. Die Wohlfahrtsbehörde von Bangladesch ließ der Familie umgerechnet 3500 Dollar zukommen, doch damit waren nur die Schulden zu begleichen, die Suman Miah aufgebürdet worden waren, als er die letztlich verhängnisvolle Entscheidung getroffen hatte, sich auf Katar einzulassen. Die für ihn exorbitante Rekrutierungsgebühr konnte er natürlich nicht aufbringen. Und die Angehörigen standen ohne ihren Ernährer und mit leeren Händen da. In dem Land, wo in knapp elf Monaten der WM-Ball rollen wird, wurde mit keiner Wimper gezuckt.
Menschenverachtendes System
Die Geschichte vom schnellen Sterben ist kein Einzelfall, sondern bisher unauslöschlicher Bestandteil eines menschenverachtenden Systems. Dieses hat zwar vor allem auf Druck von außen ein paar Updates erfahren, aber an den grundsätzlichen Missständen wurden nur einige kosmetische Eingriffe vorgenommen. Die Anwerbung von ausländischen Jobsuchenden, die in erster Linie aus Indien, Bangladesch und Nepal kommen, erfolgt zum überwiegenden Teil über katarische Subunternehmen, die für diese Dienstleistung sehr gut bezahlt werden, ausschließlich auf Kosten der Arbeiter. Die zurückzuzahlende Summe entspricht in etwa dem Jahreseinkommen eines Betroffenen.
Amnesty International bemüht sich seit vielen Jahren um ein Aufbrechen der herrschenden Strukturen, die etwa die Bauarbeiter in den Status einer weitgehend seiner Rechte beraubten Person drängten und zu einem Gutteil noch immer zwingen. Das nennt sich im Fachjargon Kafala-System und ist de facto nach wie vor gelebte Praxis, auch wenn es offiziell gar nicht mehr existieren dürfte. "Die Arbeitgeber sind die Sponsoren, sie regeln den Aufenthaltsstatus, ziehen die Pässe ein. Ohne die Einwilligung der Vorgesetzten ist es nicht möglich, die Stelle zu wechseln oder das Land zu verlassen", erklärt Lisa Salza von Amnesty International in der Schweiz. Die Expertin für Sport und Menschenrechte hat sich in den vergangenen Jahren unter anderem mit dem Fall Katar besonders intensiv auseinandergesetzt.
Wenn gesunde Menschen plötzlich sterben
2010 wurde die Fußball-Weltmeisterschaft 2022 an Katar vergeben, und die Bilanz ist verheerend. Abgesehen vom seit Anbeginn herrschenden Korruptionsverdacht, der Zahlung von Schmiergeldern für den Zuschlag, kamen laut offiziellen Angaben bis 2019 rund 15.000 Arbeitsmigranten ums Leben. Die grausame Statistik muss zwar nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit den WM-Baumaßnahmen stehen, allerdings gilt es als erwiesen, dass Hunderte von "bei der Ankunft jungen, gesunden Menschen", wie Salza meint, in Katar gestorben sind. Dies könnte auf die Hitze, aber auch auf zu wenige Pausen und eine zu hohe Arbeitslast zurückzuführen sein. Denn vor der Abreise ist im Herkunftsland ein Gesundheitscheck zu absolvieren. "Die Todesfälle werden zu wenig untersucht." 70 Prozent bleiben auf diese Weise ungeklärt, dabei wäre nach Expertenmeinung in 99 Prozent die Ursache nachweisbar. Die offiziellen Versionen beschränken sich zynisch auf "natürlichen Tod" oder "Herzstillstand".
Doch die WM naht unaufhaltsam, die FIFA hat sie mit aller Macht durchgesetzt, ist aber durch die Enthüllungen über Katar unter Druck geraten und zeigt sich mittlerweile auch durchaus kooperativ. Der längst in Ungnade gefallene frühere FIFA-Präsident befand die Menschenrechte als Vertreter der alten Schule nicht einmal als notwendiges Übel. "Sie seien nicht Teil des Business, hat Sepp Blatter noch gesagt", erklärt die AI-Expertin, die jedoch zumindest ansatzweise ein Umdenken ortet. "Es wurden neue Menschenrechtskriterien erstellt, aber so richtig angekommen in der DNA der FIFA ist dieses Verständnis noch nicht", glaubt Salza. Im Austausch mit Präsident Gianni Infantino würden deutliche Auffassungsunterschiede hinsichtlich der Fortschritte hervortreten. Die FIFA fühlt sich hier unter Wert geschlagen, die Bemühungen würden nicht angemessen gewürdigt.
Kleine Fortschritte
Die von der Fifa hervorgehobenen Verbesserungen der Arbeitsbedingungen fokussieren sich auf die WM-Baustellen, sagt Lisa Salza. Dort hätte sich die Arbeitsumgebung auch spürbar verbessert. Ein Mindestlohn soll das Minus am Glaubwürdigkeitskreditkonto entlasten, er beläuft sich auf derzeit 230 Euro monatlich. Die Arbeiter werden nicht mehr in Massenunterkünften zusammengepfercht, auch bei den hygienischen Bedingungen haben sich die Organisatoren ein bisschen herausgeputzt, es gibt relativ strenge Sicherheitsvorschriften, nur fehlt es dem ganzheitlichen Denken an Durchschlagskraft. "Die FIFA hat versprochen, einen Weltklassestandard für Arbeitsmigranten in Katar zu erlassen, dieses Versprechen wurde nicht eingelöst", meint Lisa Salza. Abseits der Stadien, also in Hotels und anderen Einrichtungen, gebe es weiterhin gravierende Missstände.
Dass die FIFA Druck auf die Veranstalter ausübt, davon ist man bei Amnesty International überzeugt. Dies öffentlich zu kommunizieren, würde freilich als schweres diplomatisches Foul gegenüber Katar gewertet werden, zumal den Herrschenden ein sauberes Image des Landes ein ganz besonderes Anliegen ist. Die Pflege lässt freilich viele Wünsche offen.