Vor 20 Jahren regierten die Taliban in Afghanistan für fünf Jahre mit brutaler Repression, ehe sie von einer US-geführten Militärinvasion gestürzt wurden. Das Land befand sich seither im Umbruch und näherte sich westlichen Werten an. Frauen war plötzlich Erwerbsarbeit möglich. Sie durften sich nach ihrer eigenen Vorstellung kleiden und ihren eigenen Interessen und dem Sport nachgehen. Nun scheint all das, was ohnehin erst im Aufkeimen war, mit einem Schlag zunichte zu sein.
Taliban-Sprecher Suhail Shahin beteuerte zwar, dass Frauen in Zukunft nichts zu fürchten hätten, doch die Skepsis und die Angst sind groß. Die Taliban-Herrschaft basiert auf einer extrem rigiden Auslegung der Scharia, des islamischen Rechts. Musik, Tanz, Fernsehen und andere beliebte Freizeitaktivitäten waren damals - vor 20 Jahren - verboten. Mädchenschulen wurden geschlossen, Frauen durften keiner Erwerbsarbeit nachgehen und mussten die Ganzkörperbedeckung Burka tragen.
Die Auswirkungen auf den Sport sind beträchtlich. Einige, insbesondere Frauen, bangen um ihr Leben. Das zweiköpfige afghanische Paralympics-Team konnte nicht nach Tokio reisen. Alle Flughäfen des Landes sind geschlossen. Der Schweizer Blick hat die in Dänemark lebende Khalida Popal (34), Mitgründerin der afghanischen Fußballnationalmannschaft, für ein Interview erreicht. Sie musste vor einigen Jahren wegen Drohungen ins Ausland fliehen.
"Auf dem Platz, wo wir gespielt haben, werden heute Frauen ermordet"
"Alle sind geschockt, wie einfach und schnell das Land zusammengebrochen ist", sagte Popal. Die Spielerinnen sind in großer Gefahr. Heute oder morgen könnten sie gefunden werden. Am schlimmsten treffe es Frauen, die sich für ihre Rechte eingesetzt haben. Sie werden ohne jeglichen Schutz alleine gelassen.
Popal hat ihren ehemaligen Kolleginnen geraten, sie sollen alle Fotos und ihre Profile auf Social Media löschen. Auch der offizielle Kanal der afghanischen Fußballnationalmannschaft wurde bereits entfernt. Die Frauen sollten sich verstecken. Unter der Taliban werden sie nie wieder Fußball spielen, denn das verbietet das Scharia-Gesetz.
Jeder könne aber helfen. Man solle Fragen stellen. "Man soll sich fragen, wieso in diesem Konflikt immer nur die Männer Entscheidungen treffen dürfen", spielt Popal den Ball an die internationale Staatengemeinschaft weiter. In Gespräch mit der Associated Press erzählte Popal, es breche ihr das Herz, ihren Mitstreiterinnen sagen zu müssen: "Schweigt und verschwindet."
Die Taekwondo-Sportlerin Zakia Khudadadi wäre die erste Frau im afghanischen Paralympics-Team gewesen. Ein Meilenstein, aus dem nichts wird. "Sie hätte Geschichte geschrieben. Sie wäre auch ein tolles Vorbild für die Frauen im Land gewesen", zeigte sich der Chef de Mission vom afghanischen paralympischen Komittee, Arian Sadiqi, ernüchternd.
Die Läuferin Kamia Yousufi war bei den Sommerspielen in Tokio Fahnenträgerin. Allerdings lebt sie Iran, wo sie auch geboren ist. Auf Instagram zeigte sie sich bestürzt, wie der Deutschlandfunk berichtete: "Ich weiß nicht, ob es das letzte Mal war, dass ich die Flagge mit Ehre bei einem Wettkampf getragen habe." Ihr Instagram-Profil scheint mittlerweile gelöscht zu sein.
Lukas Bayer