Während in Europa das Rennen um die Fußball-WM-Startplätze startet, spaltet Gastgeber Katar die Meinungen. Ungeachtet von Boykott-Aufrufen von Fan-Gruppierungen und sogar Clubvertretern geht die Quali-Kampagne ab Mittwoch in Szene. Vor allen in Norwegen, aber auch im Land des Titelverteidigers Frankreich wurde angesichts eines "Guardian"-Berichts über tausende Todesfälle auf Katars Großbaustellen debattiert. In Zürich stießen Boykottforderungen auf kein Verständnis. Ein solcher sei "definitiv nicht die richtige Maßnahme", um etwas zu erreichen, sagte FIFA-Boss Gianni Infantino jüngst. "Es ist immer, war immer und wird immer der einzige Weg sein, in den Dialog zu treten und sich zu engagieren, um Veränderungen herbeizuführen", argumentierte der Chef des Weltverbandes.
Die WM in Katar ist vor über zehn Jahren im Dezember 2010 unter ominösen Umständen vergeben worden. Das Emirat steht international wegen der Ausbeutung von Gastarbeitern in der Kritik. Der Auslöser für die jüngste Debatte ist ein Bericht des "Guardian", wonach seit 2010 mehr als 6.500 Arbeiter aus Indien, Pakistan, Bangladesch, Sri Lanka und Nepal in Katar gestorben seien. Die Zahlen wurden aus Regierungsquellen zusammengetragen. Die tatsächliche Zahl der in diesem Zeitraum gestorbenen Migranten sei deutlich höher, da auch aus anderen Ländern Arbeiter in das Emirat kämen, schrieb der "Guardian" im Februar.
Widerstand in Norwegen, Dänemark mit Petition
Aus Frankreich betonte Verbandspräsident Noel Le Graet kurz darauf, dass der Weltmeister in jedem Fall am Turnier teilnehmen werde. "Katar wurde vor langer Zeit von verantwortlichen Personen ernannt, wir werden ein Jahr vorher die Organisation nicht infrage stellen", so Le Graet. In Dänemark läuft schon seit Dezember eine Petition für einen Boykott. Wenn bis 8. Juni 50.000 Unterschriften erreicht sind, muss im Parlament darüber debattiert werden.
Vehementer Widerstand formierte sich in Norwegen. Ausgehend von Tromsö IL sprachen sich mehrere Erstliga-Clubs wie Rekordmeister Rosenborg Trondheim sowie Fanvertreter für einen Katar-Boykott des Nationalteams aus. Teamchef Staale Solbakken sprach in einem TV-Interview davon, dass der auch vom norwegischen Verband betonte Dialog ein "sehr vager und sehr feiger" Zugang sei. "Es muss Druck ausgeübt werden", meinte Solbakken - gleichzeitig merkte er jedoch an, dass ein Boykott kein geeignetes Mittel sei.
Amnesty International hielt inzwischen fest, dass man einen WM-Boykott für nicht sinnvoll erachte. "Katar hat sich durchaus gesprächsbereit gezeigt und Reformen angestoßen", sagte die Expertin Regina Spöttl vergangene Woche dem Nachrichtenportal "Watson". Amnesty setze auf Aufdeckung und Sichtbarmachung der Missstände und den Dialog mit allen Beteiligten. Gemäß Spöttl könne Katar damit eine wichtige Vorbildfunktion in der arabischen Welt einnehmen.