Da war bekanntlich 1789, es gab 1848 und schließlich auch noch das 1968er-Jahr. Aber dann kam 1995 und die Welt sah nach diesem 15. Dezember im Jahr des österreichischen EU-Beitritts nicht mehr so aus wie vorher. Natürlich hat das nichts mit Alois Mock zu tun und schon gar nicht war diese Revolution mit dem Code RS C-415/93 auf den ersten Blick als solche erkennbar. Doch schon bald stellte sich heraus, dass der Fußball auf diesem Planeten nie mehr so sein würde, wie er sich bis dahin gestaltet hatte.
Die weltbewegende Umwälzung trägt einen Namen und so mancher Vereinsboss deutscher Zunge könnte damals an so etwas wie "böser Mann" gedacht haben. Jean-Marc Bosman hat das aber eigentlich gut gemeint, zunächst einmal natürlich in eigener Sache. Die Folgen waren nicht sofort absehbar. "Wir haben am Anfang nicht gewusst, wie sich das alles entwickeln wird", sagt Max Hagmayr, als langjähriger Spielerberater ein tief im Geschehen verankerter Brancheninsider. "Vor allem bei den Vereinen war die Ungewissheit sehr groß."
Denn die Verantwortlichen der Profi-Klubs fühlten sich beim ersten Blick gleich einmal als Betrogene. Aber schön langsam kam Licht ins Dunkel. Was war geschehen? Bosman hatte 1990 den Verein wechseln wollen, die Ablösesumme wollte sich der anvisierte Verein nicht leisten, also klagte der Kicker zunächst den belgischen Verband auf Entschädigung. Bald landete die Angelegenheit als Musterklage vor dem Europäischen Gerichtshof, am Ende bekam der Belgier Recht. Von nun an durften nach Vertragsablauf alle Fußballer ablösefrei den Verein wechseln. Gleichzeitig fielen gemäß dem Recht auf freie Wahl des Arbeitsplatzes auch die Beschränkungen für Ausländer.
Die Fußballwelt, auf den Kopf gestellt
Und so rollten nach jenem am 15. Dezember 1995 ergangenen Umsturz-Urteil zwar keine Köpfe, aber der völlig auf den Kopf gestellte Fußball rollte nunmehr in eine andere Richtung und zwar mit damals sofortiger Wirkung, denn eine Übergangsphase wurde nicht gewährt. Zunächst galten die Bestimmungen nur innerhalb der EU, aber weil sechs Jahre später auch die Klage eines Russen, Waleri Karpin, durchging, wurde der Fußball auf globaler Ebene von Bosman erfasst.
Tatsächlich traf das Urteil die Vereine wie ein Schwert, nun landeten Profis mit auslaufenden Verträgen in Bausch und Bogen auf dem freien Markt. "Für die Spieler war es eine tolle Story", sagt Hagmayr, als Ex-Profi ein Leidtragender der alten Regelungen. "Ich habe aufhören müssen, weil der LASK eine Ablöse wollte, die nicht bezahlt werden konnte."
Nicht nur aus der persönlichen Retrospektive heraus beurteilt Hagmayr die Entwicklung nach dem Spruch als ziemlich runde Sache. Als seit 1999 international aktiver Berater gehört der Oberösterreicher zweifellos zu den Gewinnern der Geschichte. Die Devise, am Ball zu bleiben, bekam nun eine ganz neue Dimension. "Du musst eben arbeiten und je mehr du tust, umso größer sind die Chancen, erfolgreich zu sein", meint der 64-Jährige, der sich nach seiner Fußballer-Karriere an der Uni Linz zum Juristen ausbilden hatte lassen.
Der Spieler als vermögender Spielball
Und jene einst wehklagenden Vereinsbosse, die damals als vermeintlich Ausgetrickste der Annahme verfielen, durch die Finger schauen zu müssen, dürfen schon längst die Hand aufhalten. Und wie. Denn mit der Zeit war ihnen im Zuge des Lernprozesses das Licht der Gewinnchancen aufgegangen, und der Spieler verwandelte sich zusehends in leibhaftiges Kapital. Bald stellte die schöne neue Fußballwelt ungeschminkt ihre ethischen Schattenseiten zur Schau.
"Es hängt alles davon ab, wie clever du als Sportdirektor agierst", sagt Hagmayr. Eine praktikable und letztlich sehr oft äußerst einträgliche Praxis war fortan die langfristige Bindung der wertvollsten Kicker. Einen Fußballer zu kaufen, war und ist ja nicht verboten. Also schnellten die Ablösesummen im Laufe der Jahre in schwindelerregende und manchmal wohl auch bewusstseinseintrübende Höhen hinauf. Die 222 Millionen Euro für den Brasilianer Neymar stehen am bisherigen Gipfel der Auswüchse des ungehemmten Menschenhandels.
Die größten Nutznießer waren dennoch die Spieler, deren Gagen vor allem im begehrten Segment der großen europäischen Ligen geradezu explodierten. Auch das Lizitieren gehört mittlerweile zu den beliebtesten Übungen in den ausgesprochen wendigen Trainingszentren des "marktüblichen" Wettbewerbs. Dies funktioniert frei nach dem Motto: Je weniger du kostest, desto mehr darfst du verlangen. Ablösefreie wechselwillige Spieler haben es auf Basis dieser Grundregel am schönsten.
Die Globalisierung
Mit Bosman hat dieser Fußballwelthandel unmittelbar nicht mehr viel zu tun. "Dass sich alles so in die Höhe geschraubt hat, ist der allgemeinen Globalisierung zuzuschreiben", ist Hagmayr überzeugt. Die Erschließung neuer Märkte wie China sei auch eine Folge dieses gesellschaftlichen Wandels. Auch die im 21. Jahrhundert zu ungeheurer Popularität gelangten milliardenschweren TV-Verträge von Premier League & Co. sind essenzieller Bestandteil des Fußballmarktes.
Bosman hat die Fußballer aus einem antiquierten Zeitalter der Sklaverei in die (vermeintliche) Freiheit der Moderne befördert. Aber der gesamte Betrieb unterliegt dem Würgegriff des Kapitals. Es ist eine Knechtschaft, die sich lohnt, für die Betroffenen.