Wo beginnen, wenn ein Leben endet, das sechzigfach existiert hat? Jedes Jahr für ein ganzes Leben. Diego Armando Maradona ist in diese Welt gekommen, als wäre er dazu berufen gewesen, das menschliche Dasein in all seinen Ausprägungen zu verdichten. Er durchlief sämtliche Spielarten der unermesslichen emotionalen Vielfalt des humanen Individuums. Das Schicksal ließ ihn entschweben in nach irdischen Maßstäben unerreichbare Höhen und es ließ ihn fallen bis zum ins Bodenlose stürzenden Abgrund.
Kommentar: Maradona war mit dem Ball überirdisch, ohne allzu menschlich
Am Anfang war ein schwarzer Wuschelkopf in einem Armenviertel im Süden der Millionenmetropole Buenos Aires, der am Rande einer Kuhweide mit großen Augen in eine Kamera blickte und den im Nachhinein staunenden Zuschauern erklärte, er wolle einmal für das Nationalteam spielen. 25 Jahre später quellten die Augen förmlich aus seinem vom Kokain gezeichneten Gesicht. Die Sucht hatte seine steile Karriere aus allen Nähten platzen lassen.
Die Geburt des Goldjungen
Seit den späten 20er-Jahren galt der Fußball in Argentinien als zentrales Bindemittel einer zersplitterten Gesellschaft und nach dem unter den üblen Bedingungen einer repressiven Militärdiktatur errungenen Titel bei der Heim-Weltmeisterschaft 1978 kam einer wie Diego gerade recht. Ein hochbegabter Kicker, dessen Talent alles bisher Bekannte in den Schatten stellte. Schon bald hatten die Medien den Wunderknaben für sich entdeckt, ihren "Pibe de Oro", den Goldjungen, dessen Glanz sich rasch in Ruhm verwandelte.
Diego Armando Maradona selbst verstand es meisterhaft, seine unwiderstehliche Ausstrahlung auf dem Platz in die Erhabenheit zu stellen. Die Weltmeisterschaft 1986 wurde zum Höhepunkt seiner Laufbahn und verschaffte dem grandiosen Balljongleur ein Fixleiberl in der Ewigkeit. Sein mit der hochgereckten Faust erzieltes erstes Tor gegen England stilisierte er zur "Hand Gottes" hoch. Die verblüffende Geistesgegenwart verknüpfte der Ausnahmekönner mit einem wahrhaftigen Genieblitz, als er im selben Spiel das englische Team zu einer Statistentruppe degradierte und sein nächstes Tor erzielte, diesmal völlig regulär. Es gibt unzählige solcher Beispiele für seine unglaublichen fußballerischen Fertig- und Fähigkeiten.
Die große Reise und die Exzesse
Der Weg nach Europa war längst vollzogen, über Barcelona führte die Reise nach Neapel, wo die Camorra herrschte, aber bald der wundersame Argentinier das Leben der vom Land Zurückgelassenen im italienischen Süden auf den Kopf stellen sollte. Der Widerhall erzeugte einen Effekt, als hätte er die Meistertitel mit Napoli im Alleingang errungen. Seine magische Wirkung blieb unerreicht.
Das Leben im permanenten Rausch befeuerte jedoch auch seine Drogenkarriere, und er durch- und überlebte sie - vorerst und ganz nach Maradona-Style - in einem extremen Ausmaß. "Ich war praktisch tot, habe nichts mehr verstanden, da war nur Dunkelheit, ich habe mich von innen gesehen und konnte nicht mehr reagieren", wurde der Jahrhundertfußballer nach einem Zusammenbruch zitiert.
Die Folgen waren fatal, sein Leib blähte sich auf wie ein Ballon und fiel, nach einer Magenverkleinerung, wieder in sich zusammen. Unzählige Entziehungskuren malträtierten den ohnehin schon geschundenen Körper mit den Beinen, die in seinen besten Zeiten auf dem Rasen schwebten, aber den Himmel zu berühren schienen.
Seine Exzesse waren fortan ständige Begleiter, die mediale Erregung von nicht minder gewaltiger Wirkung, aber so blieben Name und Person stets in aller Munde. Seine Persönlichkeit jedoch war nicht mehr einzuordnen, vermutlich war sie es ohnehin niemals. Auch als Trainer sorgte Diego Armando für Schlagzeilen, doch diese erschlugen ihn eher, zumal er in dieser Rolle einen eher verlorenen Eindruck hinterließ. Seine Auftritte bei der Weltmeisterschaft 2010 in Südafrika als argentinischer Teamchef wirkten geradezu grotesk maskottchenhaft.
Im Exil beim väterlichen Freund Fidel
So sehr er sich selbst gehen ließ bis zu einer dem Tode schon verwandten Besinnungslosigkeit, so sehr hielten seine Anhänger ihm die ewige Treue. Sie ließen ihn niemals fallen. Das gilt für die Neapolitaner ebenso wie für das argentinische Volk mit seinen Legendenfiguren "Evita" Peron oder Che Guevara, den der Fußballgott, der sich zum Revolutionär adeln wollte, am Oberarm eintätowiert hat. Seine öffentlichkeitswirkssamen Auftritte abseits des gründen Rasens reichten von Audienzen beim Papst bis hin zu den regelmäßigen Besuchen beim "Maximo Lider" Fidel Castro, den er als seinen "väterlichen Freund" tief verehrte. Die Karibikinsel wurde durch lange, häufig dem Entzug gewidmeten Aufenthalte, zum selbstgewählten Exil für den Weltstar.
Am Mittwoch, dem 25. November 2020, ist Diego Armando Maradona von dieser Welt abgetreten, hinüber ins ewige Exil. Er wird unvergessen bleiben.