So hoch wie gegen Österreich hat Deutschland noch nie verloren. Undenkbar, dass so etwas wieder passiert. Fast 90 Jahre sollte es dauern, bis die deutsche Nationalmannschaft erneut mit 0:6 untergeht. Der Schauplatz war Sevilla, der Gegner hieß Spanien und in der Verantwortung steht derzeit einzig und allein ein Mann: Weltmeister-Trainer Joachim Löw.
Der Glanz der goldenen Trophäe scheint längst nicht mehr auf den Bundestrainer. Zu steil ging es seit der historischen Nacht im Maracan in Rio de Janeiro vor sechs Jahren bergab. Das Aus im Halbfinale gegen EM-Gastgeber Frankreich zwei Jahre später war noch verkraftbar. Der letzte Platz in einer Gruppe mit Schweden, Mexiko und Südkorea bei der WM in Russland war eines Titelverteidigers nicht im Ansatz würdig. Auch wenn ein frühes WM-Ausscheiden das Schicksal jüngerer europäischer Weltmeister zu sein scheint. Beispiele? Frankreich 2002, Italien 2010, Spanien 2014.
Der Eindruck, nicht mehr der Richtige zu sein, verfolgt Löw seit dem frühen WM-Aus in Russland 2018 praktisch durchgehend. Der Mann aus dem Schwarzwald ist der längstdienende Teamtrainer der Welt. Und auch, wenn Löw nach einem Krisengespräch mit DFB-Präsident Fritz Keller und DFB-Direktor Oliver Bierhoff bestätigt wurde – über Nachfolger wird diskutiert. Zu den Favoriten gehören Löws ehemaliger Weltmeister-Co-Trainer Hansi Flick (Bayern), Thomas Tuchel (Paris) und Jürgen Klopp (Liverpool).
Eine nach durchwachsenen Leistungen immer wieder aufs Neue ausgehobene Grube hat sich der Bundestrainer selbst gegraben. Die (vorschnelle?) Ausmusterung der Weltmeister Mats Hummels, Thomas Müller und Jerome Boateng holte Löw spätestens beim ersten Interview nach Schlusspfiff ein. Diese Entscheidung bleibt haften – wie der Titel.
Es entwickelte sich seither eine Situation, die nur Verlierer kennt. Holt Löw die Triple-Sieger von Bayern und den Abwehrchef aus Dortmund zurück, verliert er an Autorität, macht sich weiter angreifbar. Bleibt er auf Linie, werden die fünf ausstehenden Spiele bis zur EM nicht reichen, um noch ein konkurrenzfähiges Team formen zu können. Kurz nach dem 0:6-Debakel gegen Spanien wollte Löw vom eigenen Rücktritt nichts wissen, schloss ebenso eine Rückkehr der ausgemusterten Spieler aus. Ein „rabenschwarzer“ Tag wäre es gewesen, sagte er. Nichts, was geplant und besprochen war, sei umgesetzt worden.
Doch auch die Spieler haben Verantwortung. Die prominent besetzte Angriffslinie um Timo Werner, Leroy Sane und Serge Gnabry glänzte durch Harmlosigkeit. Auch der Spielaufbau der Spanier wurde vom Angriffstrio und den Spielern dahinter unzureichend gestört. „Die Spanier haben das schon gut gemacht. Wir aber sehr schlecht“, analysierte Gnabry. Tiefer stehend und auf Konter spielend wollte Löw seine Elf gegen Spanien sehen. Seine Mannen verstanden das – gefühlt – als Freibrief für Passivität. Und wenn spielstarke Spanier ohne Gegendruck kombinieren können, sind selbst sechs Gegentore keine Überraschung. Amateurmannschaften verteidigen disziplinierter, als es die Deutschen taten. Dafür kann Löw nichts – zumindest nicht direkt.
Dennoch würden es viele Fans begrüßen, wenn Müller, Hummels und Boateng doch zur EM mitfahren – Löw nicht