Josef Hickersberger glaubte, den Überirdischen zu erkennen. Bei der Fußball-Weltmeisterschaft 1958 in Schweden verfolgte der damals zehnjährige Knabe aus Amstetten im Fernsehen die Auftritte eines gewissen Edson Arantes do Nascimento, der dem staunenden Buben nur siebeneinhalb Lebensjahre voraus hatte. "Er war überragend", erzählt der heute 72-jährige ehemalige österreichische Teamchef, der sich in einer Ansicht nie mehr umstimmen lassen sollte. "Er ist der beste Fußballer aller Zeiten". Sein Künstlername: Pele.
Am Freitag, dem 23. Oktober, wird die in Tres Coracoes (Drei Herzen) im Bundesstaat Minas Gerais geborene lebende brasilianische Legende 80 Jahre alt. Hickersbergers Erinnerungen lassen Schwärmerei erahnen, doch er unterlegt seine Bewunderung mit Fakten. "Er war technisch grandios, ein unglaubliches Bewegungstalent, hatte enorme Sprungkraft und war auch bärenstark", also körperlich "extrem gut beisammen". Alle diese Grundlagen kombinierte Pele zudem mit einer spielerischen Leichtfüßigkeit, die ausgeprägte Spielintelligenz erledigte den Rest. "Er war der perfekte Fußballer, besser als alle anderen, ob sie jetzt Johan Cruyff, Franz Beckenbauer, Diego Maradona oder sonst wie heißen".
Und mit der Gabe, die Menschen durch sein gewinnendes Wesen zu begeistern, riss er in seiner natürlichen Fröhlichkeit alle mit. Er besaß die Fähigkeit, seinen gesamten emotionalen Spielraum auszuleben, ohne jegliche einstudierte Performance, absolut ungekünstelt, ob es nun der Siegestaumel war oder die Bestürzung über eine vergebene Chance. "Da kommen ein Lionel Messi oder ein Cristiano Ronaldo niemals hin", sagt Peles einstiger Mitstreiter Tostao.
Hickersberger ahnte 1958 natürlich nicht, dass er seinem Idol später nicht nur begegnen, sondern sogar mit dem Weltfußballer des 20. Jahrhunderts gemeinsam auf dem Platz stehen würde. Am 11. Juli 1971 kam es zu einem denkwürdigen Länderspiel. Im Morumbi-Stadion von Sao Paulo wurde Österreich die Ehre zuteil, im Rahmen der Abschiedstour von Pele Brasilien als Gegner zur Verfügung stehen zu dürfen, dem regierenden Weltmeister. Von jener Elf, die ein Jahr zuvor im Finale der WM 1970 in Mexiko Italien mit 4:1 abgefertigt hatte, fehlten nur zwei, Carlos Alberto und Jairzinho.
Wie war das damals, als Gegenspieler? "Als Einzelner wärst du verloren gewesen, zu dritt oder zu viert haben wir versucht, seine Kreise zu stören", erzählt Hickersberger. Aber Österreich schlug sich wacker damals, erreichte vor atemberaubender Kulisse ein 1:1. Die Schätzungen reichen von 100.000 bis 140.000 Zuschauern. "Wieviele es waren, weiß ich nicht. Es war voll, voller geht nicht", sagt Hickersberger. Debütant Kurt Jara gelang nach der Pause der Ausgleich. Pele, der das 1:0 erzielt hatte, spielte nur 45 Minuten. Es war das letzte Tor und der vorletzte Einsatz des Allergrößten im Dress der "Selecao". Eine Woche später folgte der Schluss-Auftritt Peles für Brasilien im Match gegen Jugoslawien.
Pele wird in seiner Heimat nicht als Heiliger verehrt, er ist der brasilianische Fußballgott. Im Gegensatz zu anderen berühmten Kollegen hatte er zeitlebens die Skandale ins Abseits gestellt. Er wuchs in ärmlichen Verhältnissen auf, sein erster Verein nannte sich "die Bloßfüßigen", weil die Burschen sich kein geeignetes Schuhwerk leisten konnten. Doch schon früh wurde Peles Genialität erkannt, mit 16 kam er zum FC Santos, für den er mehr als 600 Tore erzielte.
Insgesamt kam er laut einer Zählung der Fußballstatistiker auf 1282 Tore. Sein 1000. am 19. November 1969 wurde von einer gesamten Nation zelebriert. 100.000 waren live dabei, als Pele im Match zwischen Santos und Vasco da Gama einen Elfmeter verwandelte. Ein paar Monate später führte er Brasilien zum dritten WM-Titel nach 1958 und 1962, als er jedoch wegen einer Verletzung seinem Team in der Finalphase des Turniers nicht mehr helfen hatte können.
Dem brasilianischen WM-Team von 1970 wird vielfach als der besten Fußball-Nationalmannschaft aller Zeiten gehuldigt, sämtliche Spiele wurden gewonnen, Pele war die zentrale Figur. Eine Szene dient als Musterbeispiel für seine besondere Gabe, seinen famosen, außergewöhnlichen Instinkt. Im Halbfinale gegen Uruguay wird dem aufs gegnerische Tor zueilenden Pele der Ball von Tostao in den Lauf gespielt. Der Beobachter vermutet, dieser werde nun den herausgestürmten Torhüter mit einem gewöhnlichen Haken austricksen, doch es kommt anders. Pele läuft ohne Ballberührung über die linke Seite um den Schlussmann herum und schiebt die dann inzwischen rechts hinter den Goalie gerollte Kugel Richtung Tor. Sie geht knapp daneben, aber die Aktion war ein weiterer Schritt Richtung Unsterblichkeit.
Apropos: Vor einigen Tagen schickte Pele ein Video an die brasilianischen Medien, versehen mit der Botschaft, sich darüber zu freuen, geistig in bester Verfassung zu sein. "Feliz Aniversario, Pele".