Und es begab sich anno 1971. Der FC Bayern stellte sich in Wien zum 60er der Austria als Gratulant ein. Vornehm gingen die deutschen Gäste mit den Violetten nicht gerade um, sie gewannen 4:0. Bei einem anschließenden Besuch in der Hofburg betrachtet der damals 26-jährige Franz Beckenbauer eine Büste von Franz Joseph I., der Fotograf Herbert Sündhofer drückt ab, der österreichische Journalist Sepp Graf nimmt die Vorlage auf, der "Fußball-Kaiser" war geboren. Am heutigen Freitag wurde Beckenbauer 75 Jahre alt.
Bis vor wenigen Jahren war die Butterseite die bevorzugte Position des als Libero groß gewordenen grandiosen Fußballkünstlers, dazu passten auch die mit seinem Namen belegten schmalztriefenden Zugaben. "Lichtgestalt" ist eine der am häufigsten verwendeten Bezeichnungen für den Mann, der in seiner Laufbahn alles gewonnen hat, was es in dieser Branche auf diesem Planeten zu ernten gibt. Beckenbauer wurde Weltmeister als Spieler und als Trainer, und dann holte er auch noch die als "Sommermärchen" gestaltete Weltmeisterschaft 2006 nach Deutschland.
Wäre die Geschichte seines Lebens von einem Märchenerzähler verfasst worden, sie hätte wohl als viel zu dick aufgetragener Kitsch nie den Weg an die Öffentlichkeit gefunden. Beckenbauer ist ein Mensch, der genau diese Öffentlichkeit suchte und in einem Ausmaß fand, das als unvergleichlich gelten muss. Er war der Moderator der deutschen Nation und gab als ranghöchster Vertreter der bayrischen Weißwurst-Fraktion so gut wie überall seinen Senf dazu.
Der 11. September
Dass der Fußballkaiser an einem 11. September (1945) geboren wurde, wäre vielleicht nicht einmal gut erfunden, wenn es nicht der Wahrheit entspräche. Die "Bild-Zeitung" schlachtete diesen Zusammenhang 2011, anlässlich des zehnten Jahrestags der Terroranschläge von New York, weidlich aus und begab sich am "Ground Zero" mit Beckenbauer auf den höchsten Punkt des damals noch in Bau befindlichen Nachfolgeturms. Es ist fast müßig zu erwähnen, dass die Ausnahmefigur einst drei Jahre in dieser Stadt auch seine fußballerischen Fähigkeiten zur Schau gestellt hatte, bei Cosmos New York (1977-1980).
Seine Leistungsbilanz hatte schon vorher sagenhafte Dimensionen erreicht. 1966 durfte er als Jungspund den Final-Gefährten des damals hochgeachteten England-Stars Bobby Charlton mimen, doch da fehlte noch ein bisschen was zum großen Glück. Das Wembley-Tor entschied das WM-Endspiel in London zugunsten der Gastgeber. Vier Jahre später war bei der WM in Mexiko in einem der legendärsten Spiele der Fußball-Historie im Halbfinale gegen Italien (3:4 n. V.) Endstation. Aber 1974 schlug sie, die Stunde des Kaisers. Durch ein 2:1 im Finale gegen die Niederlande gewann Deutschland und damit auch Beckenbauer den WM-Titel.
Auf Klubebene ließ er ebenfalls nichts aus. Die drei in Folge errungenen Siege im Europacup der Meister mit den Bayern (1974-1976) gehören zu den legendären Momenten im kollektiven Fußball-Gedächtnis. Nach seiner Fußballer-Laufbahn, die in Hamburg zu Ende ging, übernahm er 1984 die Nationalmannschaft, die er 1986 ins WM-Finale (2:3 gegen Argentinien) und vier Jahre später zum Titel (1:0 gegen Argentinien) führte. Dass er niemals über eine Trainerlizenz verfügte, spielte beim Kaiser natürlich keine Rolle. Der Form halber war ein Bundestrainer als Assistent an seiner Seite.
Die Mär vom Sommermärchen
Doch wo viel Licht ist, ist auch viel Schatten. Dass Beckenbauer dereinst von diesem berühmten Goethe-Zitat ("Götz von Berlichingen") eingeholt werden würde, war kaum anzunehmen. Nach seinem Rücktritt als Teamchef blieb Beckenbauer die Leuchtfigur und natürlich eignete sich keiner besser als Aushängeschild der WM-Bewerbung für das Turnier 2006. Deutschland bekam den Zuschlag, doch das Sommermärchen entpuppte sich Jahre später als Schimäre. Die Stimmen waren laut den Ermittlungsakten gekauft, Beckenbauer wird dabei als eine zentrale Figur genannt. Fortuna hatte sich abgewandt vom ewigen Glückskind. Die behauptete Ehrenamtlichkeit wiederum passte irgendwie zum Sommermärchen, Beckenbauer soll Millionen über komplexe Kontengebilde kassiert haben. Ein Urteil gab es jedoch nie, der Prozess wurde wegen Verjährung eingestellt. Vergehen konnten der Übergestalt im Verfahren nicht nachgewiesen werden.
Als eine Folge der Affäre trat der inzwischen auch gesundheitlich angeschlagene Wahl-Österreicher Franz Beckenbauer (womit er sich auch den Vorwurf, ein Steuerflüchtling zu sein, eingehandelt hatte) den Rückzug aus dem öffentlichen Leben an. Die Rolle des unermüdlichen Entertainers als Liebling der Gesellschaft war aufgebraucht und hätte auch keinen Sinn mehr ergeben. Dass in einem 2019 erschienenen Buch über den Aufstieg des FC Bayern der Klub der 70er-Jahre als "Teil eines Amigo-Systems" im Dunstkreis der Korruption bezeichnet wird, ist in diesem Zusammenhang als bittere Draufgabe zu sehen.
Beckenbauer hat sich zu Lebzeiten einen Fixplatz als historische Figur erspielt. Der geschmeidige Charme seiner Schau´n mer mal-Mentalität ist dem Franz jedoch am Ende entglitten.