Es war die 113. Minute in Rio de Janeiro. Erschöpft und von einem intensiven Spiel gezeichnet, schleppten sich Deutsche und Argentinier über das Spielfeld im Maracana. Andre Schürrle jedoch setzte noch zu einem Sprint und zu einer Flanke an, sein Zuspiel fand schließlich in der Mitte des argentinischen Strafraums knapp sechs Meter vor dem Tor seinen Freund Mario Götze. Der damalige Bayern-Stürmer nahm den Ball gekonnt mit der Brust an und verwertete akrobatisch im Fallen. Deutschland wurde sieben Minuten später Weltmeister, Schürrle beendete sechs Jahre nach jenem Moment seine Karriere. Die WM in Brasilien betitelt der heute 29-Jährige im "Spiegel" als "die geilste Zeit meines Lebens".
Lange habe er mit sich gerungen, einen Schlussstrich unter eine so vielversprechende Karriere zu ziehen, ist ihm nicht leichtgefallen. Nach der Weltmeisterschaft war Schürrle mit 23 Jahren am Höhepunkt seiner Karriere, fiel daraufhin jedoch in ein tiefes mentales Loch. Im Gespräch mit dem "Spiegel" sprach der einstige Shootingstar offen über die Thematik Einsamkeit, die mit Fortdauer seiner Karriere zu einem ungeliebten Mitspieler Schürrles wurde. Gerade als "die Tiefen immer tiefer wurden und die Höhepunkte immer weniger", fühlte sich der Weltmeister immer verlorener.
Während seiner Zeit beim FC Chelsea soll es besonders schlimm gewesen sein. Nachdem der Offensivspieler von einer Leihe zurück nach London gekehrt war, ist er "in das tiefste Loch gefallen, das es gibt. Ich wollte nicht mehr Fußball spielen. Ich war völlig am Ende." Die Ersatzbank, auf die ihn Starcoach Jose Mourinho verbannte, nahm er als "Höchststrafe" wahr, die Medienberichte um ihn als Qual. Die Stimmen aus der britischen Medienbranche nahm sich Schürrle "schwer zu Herzen - entweder ist man der Depp oder der Held, dazwischen gibt es nichts". Schürrles Mutter sei in dieser Zeit oft besinnungslos vor Sorge gewesen sein.
Auch seine Rückkehr nach Deutschland konnte keinen Turnover bewirken. Schürrle spielte immer öfter mit dem Gedanken, "alles hinzuschmeißen". Auch unter seinem einstigen Trainer Thomas Tuchel, der ihn 2016 zum BVB holte, gelang kein Neustart. Die gesellschaftliche Erwartungshaltung, dass man vor Mitte 30 nicht aufhören kann, beschäftigten den Weltmeister allzu oft.
Als Schürrle 2016 seine heutige Ehefrau kennenlernte, kam es zu einem Prioritätenwandel. 2019 wurde der Deutsche Vater. Statt im Sommer in Dortmund, wo man ohnehin keine Verwendung für ihn hätte, zurückzukehren, hängt Schürrle seine Fußballschuhe an den Nagel. Das Karriereende ist ob der ausbleibenden Erfolge in letzter Zeit nachvollziehbar. Seine Offenheit über die Schattenseiten des Geschäfts ist jedoch unüberhörbar.