Für fast alle Kicker des brasilianischen Erstligisten Chapecoense hat der Traum vom Gewinn des wichtigsten Titels der Vereinsgeschichte am Dienstag mit einer Tragödie geendet: Auf dem Weg zum Finale um den Südamerika-Cup kam das gesamte Team bis auf drei Spieler ums Leben. Der kolumbianische Finalgegner Atletico Nacional aus Medellin schlug vor, Chapecoense den Titel zu überlassen.
Blackboxes gefunden
Überraschungsfinalist Chapecoense war auf dem Weg zum Finalhinspiel, als die Chartermaschine vom Typ British Aerospace 146 um 22.34 Uhr Ortszeit (04.34 Uhr MEZ) in bergigem Gelände in der Nähe der Ortschaft La Unión verunglückte - im Landeanflug, knapp 40 Kilometer vor Medellín. Die Maschine hatte gegen 22.00 Uhr einen Notfall gemeldet. Laut einem Sprecher der Luftfahrtbehörde gab es Hinweise auf Fehler in der Bordelektronik der Maschine. Gemäß dem Direktor der kolumbianischen Luftfahrtbehörde, Alfredo Bocanegra, könnte auch Treibstoffmangel ein Grund gewesen sein. Aufschluss könnten die beiden Blackboxes geben, die später gefunden wurden. Das teilte das Transportministerium mit.
Die kolumbianischen Behörden haben die Todeszahl bei dem Flugzeugabsturz bei Medellín von 75 auf 71 korrigiert, sechs Personen hätten überlebt. Wie die Katastrophenschutzbehörde mitteilte, seien nicht wie bisher mitgeteilt 81 Passagiere, sondern nur 77 Passagiere an Bord gewesen. Vier Personen, darunter der Bürgermeister der Stadt Chapecó, hätten die Reise nicht wie erwartet angetreten.
Nach vorläufigen Behördenangaben starben 71 Menschen, darunter 19 Mitglieder des Fußballteams und zahlreiche mitreisende Journalisten. Bisher konnten alle Leichen geborgen werden. Ersatztorhüter Jackson Follmann (24) und die Verteidiger Alan Ruschel (27) sowie Helio Neto (31), eine Stewardess, ein Flugzeugtechniker sowie ein Journalist überlebten Behördenangaben zufolge das Unglück. Auch Torwart Marcos Danilo Padilha war zunächst gerettet worden, er starb aber auf dem Weg ins Krankenhaus. Neun Spieler waren nicht zum Finale mitgereist.
Unter ihnen war der Argentinier Alejandro Martinuccio, und zwar wegen einer Verletzung. Sein Sohn sei ursprünglich sehr traurig gewesen, dass er nicht mit zum Final-Hinspiel nach Medellín reisen konnte, berichtete sein Vater Ruben Martinuccio am Dienstag in Buenos Aires. Nun zählt der 28-Jährige dank seiner Blessur zu den wenigen überlebenden Profis des Clubs.
Unzugänglicher Unglücksort
Das Flugzeug war in Sao Paulo gestartet und zu einem Zwischenstopp in Santa Cruz in Bolivien gelandet. Anschließend flog es weiter Richtung Rionegro bei Medellin. Nach Angaben des Zielflughafens Jose Maria Cordova setzte die Maschine gegen 22.00 Uhr ein Notsignal wegen eines "elektrischen Defekts" ab. Der Absturzort sei rund 50 Kilometer von Medellín entfernt in den Bergen von Cerro Gordo.
Der Bürgermeister der nahe der Absturzstelle gelegenen Stadt La Ceja, Elkin Ospina, sagte, der Unglücksort in 3300 Metern Höhe sei sehr unzugänglich. Retter brauchten mit ihren Tragen mehr als eine halbe Stunde bis zur Unglücksstelle. Zudem behinderte schlechtes Wetter die Rettungsarbeiten. Wie der Flughafen via Twitter mitteilte, wurde der Plan zunächst verworfen, einen Militärhubschrauber einzusetzen. In den frühen Morgenstunden mussten die Bergungsarbeiten vorübergehend ausgesetzt werden.
Brasiliens Staatschef Michel Temer ordnete eine dreitägige Staatstrauer an. Vize-Vereinspräsident Ivan Tozzo sprach im Sender Globo SportTV von einem "schrecklichen Schmerz" und einer "sehr großen Tragödie". Auch die Anteilnahme in der Fußballwelt war groß: "Die brasilianische Fußballfamilie trauert. Es ist eine Tragödie", schrieb Brasiliens Stürmer-Legende Pele im Onlinedienst Twitter. Auch Argentiniens Fußball-Idol Diego Maradona zeigte sich bestürzt. "Von heute an bin ich Fan von Chapecoense", erklärte er.
"Sehr trauriger Tag für Fußball"
Messi sprach den Hinterbliebenen sein Beileid aus. Der Stürmerstar war vor zwei Wochen mit der argentinischen Nationalmannschaft mit derselben Maschine geflogen. Messis Verein, der FC Barcelona, und der spanische Spitzenclub Real Madrid unterbrachen ihr Training für eine Schweigeminute. Der Präsident des Weltfußballverbandes (FIFA), Gianni Infantino, sprach von einem "sehr traurigen Tag für den Fußball".
Papst Franziskus hat seine Anteilnahme ausgedrückt. Die Nachricht über das Unglück habe ihn "erschüttert", und er bete für die ewige Ruhe der Toten, schrieb er dem kolumbianischen Bischof Fidel León Cadavid Marín.
Papst Franziskus ist bekennender Fußballfan. Nach Angaben der Behörden soll unter den verunglückten auch Torwart Danilo sein - er war mit spektakulären Paraden der Held im Halbfinale des Südamerika-Cups gegen den Lieblingsclub des Argentiniers, San Lorenzo.
Sportlicher Höhenflug
Chapecoense zählt in dem fußballverrückten Land zu den kleinen Clubs, erlebte zuletzt aber einen sportlichen Höhenflug. Nach zwei Jahrzehnten in unteren Ligen kämpfte sich das Team 2014 wieder in die erste Liga zurück. Im vergangenen Jahr belegte Chapecoense Tabellenplatz 14 unter 20 Mannschaften.
Führende brasilianische Erstligateams wollen nun Sonderrechte für den Club durchsetzen. Mehrere Traditionsclubs wie Corinthians, Meister Palmeiras und der frühere Pele-Club Santos starteten eine Initiative, die das kostenlose Leihen von Spielern in der Saison 2017 vorsieht, zudem soll der Club drei Jahre lang nicht absteigen. Am kommenden Sonntag stünde der 38. und letzte Spieltag der Liga an - dieser soll auf den 11. Dezember verlegt werden. Wie es mit Chapecoense weitergehen soll, ist völlig unklar. Unter den 75 Toten waren 19 Spieler
Die nun abgesagten Endspiele gegen Atletico Nacional sollten zum Höhepunkt in der Vereinsgeschichte werden. Die Copa Sudamericana ist nach der Copa Libertadores der zweitwichtigste südamerikanische Vereinswettbewerb. Finalgegner Atletico stellte beim südamerikanischen Fußballverband (CONMEBOL) den Antrag, Chapecoense die Trophäe zu überreichen. Dies als Zeichen der Ehrerweisung und als posthume Hommage an die Opfer des schrecklichen Unglücks, wie es in einer Mitteilung Atleticos hieß: "Was uns betrifft, wird Chapecoense für immer der Sieger der Copa Sudamericana 2016 sein."
Das Unglück erinnert an andere schwere Flugzeugabstürze, bei denen Fußballteams betroffen waren. Etwa an die Katastrophe vom 6. Februar 1958 in München, als eine Maschine mit der englischen Meistermannschaft Manchester United beim Start verunglückte und 23 Menschen starben, darunter acht Spieler.