Auch wenn die Europameisterschaft 2016 ein Turnier ist, das ganz besonders durch die sensationellen Leistungen der sogenannten "Kleinen" eine spezielle Begeisterungsfähigkeit ausstrahtl, treffen im Halbfinale fast ausschließlich alte Bekannte aufeinander. Nur ein Sensationsteam ist noch im Bewerb - wir stellen aber alle noch einmal vor.
Frankreich
Im eigenen Land sind die Franzosen schon statistisch gesehen immer Favorit. Die letzte Turnier-Niederlage auf heimischem Boden setzte es für "Le Bleu" im Jahr 1960, seither trug man eine Weltmeisterschaft (1998) und eine Europameisterschaft (1984) aus, beide wurden gewonnen.
Doch auch die Qualität der Mannschaft lässt die Fans zurecht hoffen. Beim 5:2-Sieg gegen Island zeigten sie erstmals im Turnier, dass sie nicht nur aus Einzelkönnern bestehen, sondern ein Team sind. Torschützenlisten-Führender Antoine Griezmann (4 Tore) und seine beiden Verfolger, Olivier Giroud und Dimitri Payet (je 3), bilden mit Mittelfeldmotor Paul Pogba eine Achse, die zumindest im Stande sein kann, auch die starken Deutschen zu schlagen. Und das, obwohl der Starstürmer Karim Benzema wegen eines Sex-Skandals gar nicht mit dabei ist. Außerdem mussten mit Kurt Zouma, Jeremy Mathieu und Raphael Varanegleich drei Innenverteidiger verletzungsbedingt die EM absagen.
Deutschland
Der Weltmeister hat es einmal mehr geschafft. Vor dem Turnier als "formschwach", "inkonsequent" oder "fehleranfällig" abgetan, stehen sie nach stetiger Steigerung im Turnierverlauf unter den letzten Vier. Die Turniermannschaft plagen nach dem denkwürdigen Krimi gegen Italien allerdings Personalsorgen. Mit dem gesperrten Mats Hummels und den verletzten Mario Gomez und Sami Khedira geht Joachim Löw eine Achse voll Stammspielern ab. Auch Kapitän Bastian Schweinsteiger ist fraglich.
Wollen die Deutschen den zweiten großen Titel in zwei Jahren holen, kommt es jetzt noch mehr auf die Jungen an. Dass Nationalteam-Frischlinge in Deutschland funktionieren, bewiesen schon die Außenverteidiger Jonas Hector und Joshua Kimmich. Beide verteidigen solide, bauen sich gut ins Offensivspiel ein und - wohl am wichtigsten in der unmittelbaren Rückschau - versenkten beide ihren Elfmeter gegen Angstgegner Italien. Da Sechser Ilkay Gündogan und Flügel Marco Reus schon vor der EM verletzt ausfielen, müssen jetzt spieler wie Julian Weigl, Julian Draxler, WM-Held Mario Götze oder Leroy Sane zünden.
Portugal
Der ewige Mitfavorit hat die Chance aus seinen ersten Finaleinzug seit der Heim-EM 2004, wo man Sensations-Sieger Griechenland unterlag. Im zweiten EM-Halbfinale en suite wollen Cristiano Ronaldound Co. unbedingt weiterkommen. 2012 gab es in Polen eine Niederlage nach Elfmeterschießen gegen Spanien.
Jetzt soll es gegen Wales, mit Ronaldos Real-Teamkollegen Gareth Bale, fürs Finale reichen. Und das, obwohl man noch kein Spiel bei dieser EM gewonnen hat - zumindest nach 90 Minuten. Nach drei Unentschieden und Platz drei in der Österreich-Gruppe, einem Sieg nach Verlängerung gegen Kroatien und einem Erfolg nach Elfmeterschießen gegen Polen ist man in den Kreis der Semifinalisten eingezogen. Ohne Sieg im Halbfinale zu stehen, ist übrigens historisch.
Ronaldo äußerte sich vor dem Halbfinale übrigens so: "Ich habe alle Klubtrophäen, jetzt will ich auch endlich mit meinem Land Großes erreichen." Dazu braucht es wohl eine kleine Leistungssteigerung des Superstars, der den Erwartungen - vor allem im Torabschluss - etwas hinterherhinkt. Auch der bei der EM so stark aufspielende 18-jährige Renato Sanches wird in Topform gebraucht, ebenso wie die Offensivkünstler Nani und Riccardo Quaresma. Nachdem RaphaelGuerreiro und Andre Gomes wieder ins Training eingestiegen sind, ist der Kader voraussichtlich vollständig einsatzbereit. Verteidiger Pepe nahm wegen Oberschenkelproblemen nicht am Training am Montag teil, was laut dem Verband aber eine Vorsichtsmaßnahme war.
Wales
Nach Island ist Wales die Überraschung des Turniers. Noch nie qualifizierte man sich für eine Euro und schon beim ersten Mal führte der Weg ins Halbfinale. Gareth Bale, Aaron Ramsey, Joe Allen und Kollegen wollen jetzt natürlich ins Finale.
Mit taktischer Disziplin bezwang man zuletzt sogar Belgien, in der Gruppe wurden die Slowakei und Russland geschlagen. Gegen England verlor man zwar, darf sich aber nun freuen, letzter britischer Vertreter im Turnier zu sein. Gut verteidigen, rasch kontern und giftig pressen. Mit diesem Rezept kann auch Portugal, das während des Turniers noch keine einzige völlig überzeugende Partie abgeliefert hat, bezwungen werden. Natürlich bedarf es eines guten Tages von Superstar Bale, der mit drei Treffern der torgefährlichste Waliser ist. Auch TrainerChris Coleman hat alle Kaderspieler zur Verfügung.
PHILIP EDLINGER