Erst der Siegtreffer gegen Belgien, dann das Tor gegen Spanien. Mit diesen Toren avancierte Graziano Pellè zum großen Star bei den Italienern, zuvor kannten den 30-Jährigen nur Fußballinsider. Gegen Deutschland blieb der Stürmer in bisherigen 105 Spielminuten eher unauffällig. Bis auf eine gute Möglichkeit in der zweiten Halbzeit. Gemeinsam mit Sturm-Partner Eder, der vor der EM ebenfalls keine große Nummer war, lässt er die Tifosi vom Titel träumen und die Frauen schmelzen. Italienische Frauenzeitschriften kürten "Bello Pellè" vor kurzem zum "Mister EM". Doch Pellè ist mehr als ein schönes Gebiss und eine tolle Haartolle. Pellè hat eine schöne Geschichte.
Der tanzende Kicker
Diese beginnt 1985 in Monteroni di Lecce, einem kleinen Ort in Apulien. Der Fussballer wird als Junge belächelt. Er kommt nicht nur aus einer armen Familie, er tanzt auch noch. Während die gleichaltrigen Jungs die WM 1990 nachspielen, übt er täglich Tanzschritte ein. "Meine Mutter wollte, dass ich tanze", sagt Pellè. Also tanzt er und hat Erfolg. Zusammen mit seiner Schwester gewinnt er als Elfjähriger die italienische Jugendmeisterschaft der lateinamerikanischen Tänze. Da sein Vater und sein Grossvater mehr Freude am Calcio als am Tanzen haben, spielt Pellè auch Fußball. Schon mit 18 debütiert er in der Serie A bei Lecce. Doch bald verliert er den Anschluss und tingelt als Leihspieler zwischen Catania, Cesena und Crotone. Tore schiesst er kaum noch welche.
Spätes Teamdebüt
Eine schicksalshafte Begegnung auf Ibiza bringt die Karriere nochmals in Schwung. Pellè lernt den Sohn von Ronald Koeman kennen, der zu dieser Zeit Feyenoord Rotterdam unter seinen Fittichen hat. Mit 27 wagt der Stürmer einen Neuanfang und geht nach Holland. Da trifft er unglaubliche 55-mal in 66 Spielen. Aus dem schlaksigen Jungen ist ein 1,94-Meter-Riese geworden, einer wie Luca Toni. Nur eleganter, leichtfüßiger. Ganz der Turnier-Tänzer eben.
Im Sommer 2014 zahlt Southampton rund 10 Millionen für Pellè. Und der Spätzünder sagt selbstsicher. "Die Tore sind überall gleich groß!" Als er mit 29 erstmals von Trainer Antonio Conte in die Nationalmannschaft geholt wird, wendet er mit seinem 1:0 gegen Malta gleich eine Blamage ab. "Ich habe immer an mich geglaubt. Aber es ist eine Sache zu denken, dass man gut ist, aber eine völlig andere, das auch zu zeigen", sagt der Frauenschwarm.
Nach dem Abstieg im Jahr 2011 setzte Sampdoria Genua alles daran, um so schnell wie möglich die Serie B zu verlassen. Zur Umsetzung dieses Vorhabens verstärkte sich der Verein aus Ligurien leihweise mit den Stürmern Graziano Pellè und Eder. Mit den beiden Neuzugängen gelang der direkte Wiederaufstieg in die Serie A. Die Wege der zwei Angreifer trennten sich danach vorerst.
Im heutigen Viertelfinale gegen Deutschland (21 Uhr, ORF eins live) wird Italien-Coach Conte wieder auf das kongeniale Sturmgespann setzen. Der großgewachsene Pellè verkörpert den klassischen Mittelstürmer und ergänzt sich mit dem kleinen, wendigen und dribbelstarken Eder perfekt. Pellè: „Wir trainieren während der Woche viel gemeinsam und stimmen uns aufeinander ab."
Erfolgsgarant
Sein Sturmpartner Eder wurde in Brasilien geboren und ist nach dem ehemaligen brasilianischen Nationalspieler Eder Assis benannt. Eders Urgroßvater war Italiener und lebte in der Provinz Vicenza. Seit 2006 spielt der Stürmer in Italien und war zuerst in der Serie B aktiv, wo er auf Anhieb überzeugen konnte. Seit 2010 ist der aktuelle Inter-Angreifer, abgesehen von einem kurzen Serie-B-Intermezzo bei Sampdoria Genua, immer in der höchsten italienischen Spielklasse aktiv.
Dabei gelangen ihm 50 Tore bei 197 Einsätzen. Auch Teamchef Conte bemerkte den Aufstieg des 29-Jährigen und nominierte ihn im März 2015 erstmals für das Nationalteam. Gleich bei seinem Debüt konnte Eder über sein erstes Länderspieltor jubeln. Eder und die „Squadra Azzurra" – das passt. In allen sechs Pflichtspielen, in denen der wendige Stürmer in der Startelf stand, gewann Italien auch.