Diese Kolumne war in den letzten Wochen vor allem ein Versäumnisbericht, Sie haben mir großzügig beim Nichtzuschauen zugeschaut, beim fröhlichen Scheitern meiner Versuche, auf irgendeine Art und Weise des europäischen Fußballs in einem afrikanischen Land habhaft zu werden. Dabei stehen nun letztlich erstmals die Chancen gut, dass es mir gelingt, das EM-Finale, das heute Spanien und England in Berlin bestreiten werden, doch zu verfolgen.

Denn schmutzig und von der Tiefgründigkeit jener Straßen des Landes, die eine kunstvolle Flickenarbeit aneinandergenähter Schlaglöcher sind, durchgeschüttelt, habe ich heute Morgen als Omen bereits
drei Löwen gesehen, die schön und satt und gelb im Gras schliefen. Ob ihr Erscheinen auf einen Sieg der Engländer verweist oder auf deren kommende Trägheit im Spiel, lässt sich noch nicht sagen.

Die Chance auf das Finale hat nicht zuletzt mit der schwierigen kolonialen Geschichte des Landes zu tun: Zum Abschluss dieser unwegsamen Reise geht es zu den touristisch erschlossenen Viktoria-Fällen in Livingstone. In der nach dem berühmten britischen Afrika-Forscher benannten Stadt, die neben vielem anderen auch eine Art Kolonialmuseum ist, gibt es mehrere englische Bars, in denen ein paar versprengte Nostalgiker des Empire zu den drei Löwen halten wird und jeder andere aus Prinzip für die Spanier.

Oscar zum Beispiel, der entzückende Wildbiologe, den wir unlängst im Busch trafen, ist ganz und gar und sehr sicher auf jeder Seite, auf der die Engländer nicht sind. Und auch ich selbst drücke den Spaniern die Daumen, und nicht nur, weil ich noch bevor die Europameisterschaft begonnen hatte, aus einem prophetisch anmutenden Bauchgefühl heraus auf sie gewettet habe.

Fußball wird hier jedenfalls mehr gespielt als geschaut, so viel kann man sagen. Kaum ein Dorf, in dem nicht auf einem staubigen Feld zwei Dutzend Kinder einem Ball nachjagen, der oft aus Stoffresten zusammengeschnürt ist, um ihn in ein Tor zu schießen, das in aller Regel aus drei Baumstämmen gezimmert wurde. Hin und wieder sieht man gar ein altes Barcelona-Dress auf den Plätzen, und Messi! rufen mir die Buben zu, wie einen geheimen Gruß. 

David Livingstone starb übrigens in jenen Sümpfen, über die heute eine spektakuläre Brücke führt, die die Chinesen gebaut haben, nachdem Amerikaner und Europäer erklärt hatten, dass das unmöglich sei. Vielleicht ist es auch so, dass das Interesse für den europäischen Fußball in Afrika auch ein wenig darunter leidet, dass das europäische Interesse für Afrika noch viel träger ist als die drei morgendlichen Löwen.

Valerie Fritsch lebt als Schriftstellerin und Künstlerin in Wien und Graz. Aktueller Roman: „Zitronen“, erschienen im Suhrkamp-Verlag.