Die französische Defensivtaktik ist mittlerweile in aller Munde. Der zweifachen Welt- und Europameister hat in der laufenden EM-Endrunde aus dem Spiel heraus noch kein Gegentor bekommen. Aber, ironischerweise, auch selbst keines geschossen. Das überließ Didier Deschamps und Co lieber dem Gegner, der ins eigene Tor treffen sollte. Kein Novum, dass man es trotz eines so exquisit besetzten Kaders nur minimalistisch ins Halbfinale eines Großturnieres schafft. Der „Grande Nation“ und den Spielern wird‘s egal sein. Gefühlt macht man nur das Notwendigste und vertraut dabei auf einen Zauberer im Tor.

Die Rede ist von „Magic Mike“. Wer ihn noch nicht unter seinen Künstlernamen kennt: Der französische Schlussmann des AC Milan heißt mit bürgerlichem Namen Mike Maignan. In den entscheidenden Phasen eines Großturnieres stehen oft die Schlussmänner im Mittelpunkt. Egal, ob sie sich geheime Schriften auf die Trinkflaschen kleben oder in heißen Drangperioden ihre Mannschaft vor einem Rückstand bewahren. Torhüter sind und bleiben ein wenig anders – und durchaus speziell. Ein Blick auf die vier Schlussmänner dieses EM-Halbfinales sagt mir klar: Der 29-jährige „magische Michael“ mit afrikanischer Wurzel im Kasten der Franzosen hat die Nase vorn. Nicht nur, weil er einen guten Riecher hatte und zwei portugiesischen Großchancen im Viertelfinale brillant antizipierte und entschärfte, sondern weil er als Rückhalt das kompletteste Torhüterpaket von allen hat.

Entschlossene Miene, furchtlos und klar kommunizierend – auch die Mitspieler schwärmen. Maignans persönliche Fußball-Philosophie ist sowohl auf den Torwarthandschuhen, als auch auf seinen Fußballschuhen eingraviert: Glaube, Disziplin, Arbeit, Geduld und Demut. Fünf starke Schlagwörter, die es gegen eine hochfliegende spanische Flotte brauchen wird. Der freie Offensivgeist der Iberer wird zu einem Härtetest für die französische Hintermannschaft.  Eine klare Schwächung im Spiel der Spanier wird der Ausfall des gelb-gesperrten Rechtsverteidigers Daniel Carvajal sein. Sein Ersatz ist „Altmeister“ Jesus Navas. Die französischen Raketen auf der Flanke könnten zünden – und das heißt, dass auf den „Heiligen in der Viererkette“ einiges an Arbeit zukommt.

Johnny Ertl (41), Ex-Fußballer mit Stationen bei Sturm, Austria Wien, Crystal Palace, TV-Experte, Forstwirt, Unternehmer

Diese Kolumne wird präsentiert von: