Ich fühlte mich gestern noch leicht benommen, als hätte ich einen schlechten Traum gehabt. Die präzisen und wuchtigen Hereingaben von Arda Güler konnte ich nicht verteidigen, Merih Demiral sprang um einen Kopf höher als ich. Bei Meret Günok kam es kein Vorbeikommen im eins gegen eins, ich versuchte alles. Sogar mein perfekt getimter Bodenauf-Kopfball in der Nachspielzeit, gut gesetzt auf dem nassen Rasen noch dazu, half nicht. Ich kann es einfach nicht glauben. „Do kann man moch‘n, wos ma wül“ hörte ich mich schlaftrunken murmeln. All diese Situationen spielte ich mehrmals im Traum ab. Als ich aufwachte, fühlte ich mich leer.
Die Verarbeitung von Bildern nach hochemotionalen Spielen dauern eine Weile. Man spürt die Verbindung zu den Fans, die große Verbundenheit zu einer ganzen, rot-weiß-roten Nation. Spieler fühlen die Enttäuschung, die große Ernüchterung, das persönliche Versagen. Szenen kommen immer wieder retour, die Reise durch die Gruppenphase war doch so schön, denn „Heit fliag i no, vü weiter fuat“ , hörte ich mich noch vor dem Spiel zu mir und den anderen Burschen sagen. Doch „So wia dei Wasser talwärts rinnt“ ist auch der Traum einer erstmaligen Viertelfinal-Teilnahme zerronnen. In den bittersten Momenten steckt die größte Kraft. Mit viel Herz und Dankbarkeit wurden unsere Spieler von den Fans nach dem Spiel verabschiedet. Erinnerungen, die bleiben, man hat etwas richtig gemacht. Es ist ein neues und doch altbekanntes Gemeinschaftsgefühl in unserem Land entstanden. Wie wir spielten, wie wir uns präsentieren, wie viel Einsatz und Leidenschaft in jedem einzelnen Spiel zu bewundern war. Unsere Nationalmannschaft hat es am Platz vorgelebt: Jeder Einzelne ist wertvoll und trägt seinen Teil zum großen Ganzen bei. Als kleine Kinder sind wir oft hingefallen, um wieder aufzustehen. Und sollte mir jemand helfen hochzukommen, dann „Sog i am Mensch der Welt vio stolz“ : I am from Austria!
Johnny Ertl (41), Ex-Fußballer mit Stationen bei Sturm, Austria Wien, Crystal Palace, TV-Experte, Forstwirt, Unternehmer