In meiner aktiven Karriere habe ich viel im mentalen Bereich gearbeitet. Als Legionär musste ich besser sein als die heimischen Spieler. Ein Weg, mein Niveau und meine Leistungen stetig zu heben war durch Visualisierung und die Kraft der Gedanken. Es ist auch ganz einfach. Vor dem heutigen Spiel: Dreimal tief ein- und ausatmen und sich wie Laimer & Co. hineinversetzen und um 19:15 Uhr mit ihnen aus dem Teambus steigen und die erste richtige EM-Luft in Düsseldorf schnuppern …

Draußen hört man schon Schlachtgesänge, der Security-Mann vor dem Eingang kennt dich und begrüßt dich herzlich. In den Kopfhörern läuft deine Lieblingsmusik und du siehst viele akkreditierte Menschen, nimmst die Bilder and der Wand und die ersten Kameras wahr. In der Umkleidekabine hat der Zeugwart schon alles hergerichtet. Du schaust, wo dein Dress hängt, und legst deine Toilettasche dort ab. Du nimmst dir ein Stück Banane und einen Schluck Wasser, aus den Musikboxen hörst du die Lieder, die in der Kabine immer gespielt werden. Sie erinnern dich an gute Zeiten in der Qualifikation, an große Siege, an eine Mannschaft, die zusammenhält. Du siehst die taktische Aufstellung des Gegners und die ausgedruckten Standardsituationen. Du weißt, was du zu tun hast.

Du gehst raus aufs Feld, nimmst den neu gestalteten EM-Spielertunnel mit dem farbenfrohen Logo und die TV-Mixed Zone wahr. Du siehst dich dort Interviews führen, du wurdest „Man of the Match“. Akkreditierte Medienleute huschen an dir vorbei. Der Tunnel fühlt sich gut an, der herrlich grüne Rasen leuchtet die entgegen. Über die LED-Wand laufen Gesichter der Fans. Du siehst österreichische Fans, deren Wangen rot-weiß-roten bemalt sind. Sie erkennen erst nach ein paar Sekunden, dass sie zu sehen sind, freuen sich riesig.

Wie fühlt sich der Rasen an? Wie hoch ist er? Ist er bewässert? Noppen oder Stollen? Du gehst zum Mittelkreis und bleibst für eine Minute stehen, nimmst alles in Ruhe wahr. Du gehst positive Spielszenen durch, gewonnene Zweikämpfe, gute Umschaltmomente, positive und perfekt getimte Pässe in die Tiefe. Du gewinnst den Ball in der Rückwärtsbewegung, schaust Kylian Mbappé in die Augen, du hast den Blick nach vorn gerichtet. Die Menge tobt, du spürst ,wie sie dich nach vorne trägt. Du reißt die Hände in die Höhe, ein Mannschafstkollege springt dir auf den Rücken.

Du bewegst deinen Körper, streckst deine Gliedmaßen aus und gehst zurück in die Kabine. Deine Schuhe sind geputzt und perfekt vorbereitet. Du setzt dich nieder, ziehst dich an. Dein Spiel kann beginnen.

Johnny Ertl (41), Ex-Fußballer mit Stationen bei Sturm, Austria Wien, Crystal Palace, TV-Experte, Forstwirt, Unternehmer

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