Grundordnung: Österreich startet in einem 4-2-3-1, das sich gegen den Ball in ein 4-4-2 oder mit dem Ball in ein 4-3-3 verändern kann.
Spiel gegen den Ball: Bei Österreich spricht man immer von hoher Intensität im Angriffspressing. Was heißt das eigentlich? Der Gegner wird, wenn möglich, bereits hoch im Feld 1:1 attackiert, um vor jeder Ballannahme nach einem Pass Druck auszuüben. Kein Gegner sollte mittlerweile noch überrascht sein, wenn Österreich mit höchster Power ins Spiel startet. Da dies jedoch nicht über 90 Minuten realisierbar ist oder der Gegner Wege findet, sich aus dem Pressing zu lösen oder dieses weiträumig zu überspielen, werden auch Phasen im tief stehenden Block unumgänglich sein. Dann gilt es, nicht passiv zu werden. Denn genau darauf basiert eine der größten Stärken Österreichs: aggressive Balleroberung, überfallsartiger, geradliniger Umschaltfußball.
Speziell das wird gegen Frankreich auf uns zukommen. Das ÖFB-Team kann dann mit Phillipp Mwene, Christoph Baumgartner, Patrick Wimmer, Marcel Sabitzer und Konrad Laimer Geschwindigkeit aufnehmen und in Form von Tiefenläufen blitzschnell ins letzte Drittel kommen. Auf Laimer kommt gegen Frankreich eine Schlüsselrolle zu. Wenn er neben Nicolas Seiwald auf der 6 spielt, wird er im Verbund mit Stefan Posch und Wimmer dafür zuständig sein, den Offensivdrang von Theo Hernandez und Kylian Mbappé einzudämmen. Eine andere, defensivere Variante wäre es, Laimer ins rechte Mittelfeld und dafür Florian Grillitsch vor die Abwehr zu stellen.
Spiel mit dem Ball: Die Philosophie von Ralf Rangnick beruht in erster Linie nicht darauf, viel Ballbesitz zu haben. Im kontrollierten Ballbesitz spielt Österreich schnörkellos. Klare Positionierungen und wenige Ballkontakte zum einen und das klare Ziel, die Schlüsselspieler Marcel Sabitzer, Christoph Baumgartner, Michael Gregoritsch zu finden, dominieren. Im Moment der Balleroberung kommt die absolute Stärke Österreichs ins Spiel: innerhalb von wenigen Sekunden am gegnerischen Strafraum zu sein und einen schnellen Abschluss zu finden. Vieles läuft über die linke Seite, wo Phillipp Mwene auch deutlich mehr in die Offensive eingebunden wird als Stefan Posch, der defensivere Aufgaben hat. Speziell gegen Frankreich wird dies gegen Kylian Mbappé und Theo Hernandez vonnöten sein. Marcel Sabitzer, Christoph Baumgartner und Florian Grillitsch haben die Fähigkeiten, einen Defensivblock spielerisch zu überwinden.
Schwächen: Bei Österreich handelt sich eher um personelle Schwächungen. Mit Alexander Schlager, David Alaba und Xaver Schlager muss Österreich eine komplette Achse vorgeben. Es handelt sich um Schlüsselpositionen. Xaver steht im zentralen Mittelfeld genau für das, was Rangnick will. Alexander wäre für mich die klare Nummer eins gewesen. Und David fehlt nicht nur als Persönlichkeit, sondern auch als unumstrittener Abwehrchef im Spielaufbau und lautstarker Taktgeber immens. Aus Sicht der Gegner sehe ich es als Vorteil, dass Spieler dieser Qualität ausfallen. Die Unberechenbarkeit möglicher Alternativen wiegt dahingehend weniger schwer.
Schlüsselspieler: Marcel Sabitzer ist DER Führungsspieler geworden. Er verkörpert einen aggressiven Leader, der Standards, Assists und Tore produziert. Alle schauen zu ihm auf und folgen seinen Kommandos. Christoph Baumgartner hat ein natürliches Selbstbewusstsein, das man nicht antrainieren kann. Er nimmt Risiko und verliert sein Selbstvertrauen auch dann nicht, wenn eine Aktion nicht erfolgreich ist. Diese Mischung aus Qualität, Überzeugung und Unbekümmertheit macht ihn zu einem ganz besonderen Spieler.
Michael Gregoritsch hat seit seinem Wechsel zu Freiburg einen großen Schritt nach vorne gemacht. Er löst das Pressing aus und trifft im Nationalteam regelmäßig. Mit seinen körperlichen Voraussetzungen und seiner Statur hilft er bei Standards und nimmt die ungemein wichtige Rolle eines Wandspielers ein. Das bringt einerseits Entlastung, wenn er Bälle behauptet. Andererseits leitet er mit seinen Ablagen bzw. Verlängerungen spielentscheidende Kontersituationen ein. Konrad Laimer, der zwischen den Strafräumen auf- und abmarschiert, steht für Intensität pur und verkörpert den Rangnick-Fußball wie kein anderer.
Fazit zum EM-Start: Zum Auftakt kann das ÖFB-Team, das sich nach vielen positiven Ergebnissen in einem richtigen Flow befindet, befreit und selbstbewusst auftreten. Die Rollen sind klar verteilt. Der Druck lastet auf Frankreich. Darin sollte Österreichs größte Chance liegen: Unsere Stärken liegen Frankreich nämlich überhaupt nicht. Vermeiden wir „Big Plays“ der französischen Superstars im letzten Drittel, können wir uns berechtigte Hoffnung auf eine Überraschung zum Auftakt machen.
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Julian Baumgartlinger