Vor rund einem Monat fuhr ich mit meiner Frau in die Toskana. Auch Italiens Teamchef Luciano Spaletti hatte die gleiche Idee und wollte sich dort eine Auszeit gönnen, nachdem er nach 33 Jahren den Scudetto wieder in die pulsierende Hafenstadt Neapel zurückgebracht hatte. Ein sogenanntes „Sabbatical“ sollte es werden, wie es auch die Squadra Azzura bestens kennt, wenn es um das Aussetzen bei Teilnahmen an WM-Endrunden geht.
Aber Stopp! Wir sprechen hier vom amtierenden Europameister, der erst vor drei Jahren den Henry Delaunay Pokal vor den Augen sämtlicher englischen Fußballromantiker in die Höhe gestemmt hat. Doch wurde in den letzten Jahren einiges umgebaut, ähnlich wie die italienische „Autostrada“ ist Italiens Nationalteam sozusagen eine langjährige Baustelle. Ein Totalumbau des Kaders mit neuen Gesichtern und neuer Spielinterpretation, eine Qualifikation mit viel Bauchweh sowie unzählige verletzungsbedingte Ausfälle (Zaniolo, Acerbi, Udogie, ...) mindern die positiven Aussichten auf einen erneuten EM-Coup der Italiener in der „Gazzetta dello Sport“.
Die Baustellenleitung für die Euro 2024 übernimmt ein wahrer Professor, Fußball Enthusiast und Charismatiker. Luciano Spaletti versucht, vertikal mit Offensivdrang zu spielen und reißt alles in die Spitze. Seine Haarspitzen werden motiviert sein, sind aber (ähnlich wie bei mir) nicht mehr vorhanden. Das gleiche gilt für durchschlagskräftige Stürmer mit Torgarantie. Das Stürmerproblem die vom Aussterben bedrohte Spezies mit der Rückennummer „9“ ist zwar bei vielen großen Fußballnationen evident, scheint aber besonders in der Genetik des italienischen Fußballs verloren gegangen zu sein.
Die Hoffnungen ruhen auf Gianluca Scamacca, der es auf bewerbsübergreifend auf 19 Tore brachte und mit Atalanta Bergamo in die Champions League einzog. Ähnlich wie Tante Ceccarelli und Stefan Poschs Bologna, beide mit ganz viel „Amore“ für Italien.
Liebesbeziehungen wird es in der sogenannten „Todesgruppe“ B keine geben. Die Spanier mit ganz viel Talent und Hunger auf ein Europameisterschafts-Revival, Kroatien bei großen Anlässen trotz Fußballschonkost immer brandgefährlich und die Albaner als unbeschriebenes Blatt, die gerade großen Nationen mit ihrem Willen und ihrem Spielstil Probleme bereiten. Nichts zum Reinkuscheln am Samstag heute. Der erste wirkliche EM-Fußball Härtetest wartet auf viele Familien in ganz Europa. Da ist die Frage: Wer kann sich durchsetzen in der Gruppe B? Aber auch: Wer kann sich vor dem Fernseher behaupten und sein (Euro-)Programm durchziehen?
Johnny Ertl (41), Ex-Fußballer mit Stationen bei Sturm, Austria Wien, Crystal Palace, TV-Experte, Forstwirt, Unternehmer