Die österreichische Nationalmannschaft ist auf den Geschmack gekommen. Nach einem nordmazedonischen Amuse-Gueule, einer versalzenen Suppe in Amsterdam und einem durchaus deliziösen Hauptgang, von dem die ÖFB-Auswahl der Ukraine keinen Bissen abgab, wartet in London nun das wohlverdiente Dessert. Stefan Pappert weiß, wie man dieses am süßesten serviert. Seit der WM 2006 ist der Bayer als Koch bei diversen Fußballgroßveranstaltungen im Einsatz, begleitete fast ein Jahrzehnt lang Formel-1-Rennfahrer auf der ganzen Welt und frittiert steirische Backhendl für die Queen.
An ausverkauften Tagen versorgt der Lead Chef des Wembley-Stadions mit bis zu 800 Köchen und Köchinnen 90.000 Menschen, aufgrund der Pandemie sind zum Achtelfinale zwischen Österreich und Italien nur 22.500 Menschen zugelassen. "5000 oder 90.000 Leute, das ist bei uns wie Autofahren", meint Pappert. "Da gibst du dann einfach ein bisschen mehr Gas und 'haklst' mehr, wie man in Österreich sagt."
Mit dem Gabelstapler in den Kühlhäusern
Der 43-Jährige und sein Team kochen für das ganze Stadion: "Das heißt, von der Wäschefrau über die Medienvertreter und den Zuschauern bis hin zu den Spielern und den Busfahrern", sagt Pappert. Die Dimensionen sind gewaltig. "In der Früh führe ich mit dem Gabelstapler tonnenweise Gemüse und Fleisch zwischen den Kühlhäusern hin und her", erzählt der Koch. "Wenn wir Zitronen bestellen, dann gleich fünf Tonnen. An einem guten Spieltag brauchen wir 13 Tonnen Pasta."
An einem solchen ist Pappert nirgends und überall zu finden. "Meine Mitarbeiter fragen sich oft auch, wo ich bin", meint er lachend. "Ab Einlass bin ich dann 'on the run'. Ich gehe im Durchschnitt 25 Kilometer in drei Stunden, weil ich auf allen Leveln unterwegs bin. Zwischendurch sitze ich im Kontrollzentrum im 5. Stock, wo wir mithilfe von Künstlicher Intelligenz das Kaufverhalten beobachten: Wie viele Burger werden verkauft, wie viel Bier? Wo muss nachgeliefert werden?"
Pappert ist eng mit den Köchen der jeweiligen Nationalteams in Verbindung, man kennt sich. "Der Küchenchef der französischen Nationalmannschaft kocht auch für Präsident Emmanuel Macron, vor drei Wochen haben wir noch beim G7-Gipfel in Cornwall zusammengestanden." Mit Österreichs Küchenchef, Fritz Grampelhuber, und dessen Bruder Tamino, der in London vor Ort ist, hat Pappert erst seit Kurzem Kontakt. "Wir haben telefoniert, ich habe ihm gesagt: Euer österreichischer Stecker passt bei uns nicht in die Steckdosen, da müsst ihr schon Adapter mitbringen."
Ante Rebic' WhatsApp-Tafelspitz-Bestellung
Die Nationalmannschaft hätte "gute, bürgerliche Küche" bestellt. "Die Spieler sind im Ausland, denen musst du Heimatgefühle vermitteln", meint Pappert. "Was soll ich denen Fish & Chips auftischen, was sie dann eh nicht essen? Als Kroatien da war, habe ich viel Cevapcici gemacht. Und Tafelspitz für Ante Rebic, den hatte er sich per WhatsApp bestellt. Und wenn jemand Geburtstag hat, wie David Alaba kürzlich, kannst du dir sicher sein, dass in irgendeinem Hotelzimmer eine Sachertorte stehen wird."
Im gesamten Stadion wird halal gekocht, da in England viele Moslems leben. Schweinefleisch ist generell kaum auf Lager - mit einer Ausnahme: "Uli Hoeneß' Bratwurst." Der Wareneinkauf ist jedes Mal aufs Neue eine große Herausforderung: "Wie kriegst du Topfen nach London?", sagt Pappert. "Das sind die strategischen Fragen, die ich mir stellen muss. Schicken geht nicht, der ist sauer, bis er hier ist." Oft muss der Koch daher seine Kontakte spielen lassen.
"Als Martin Hinteregger mit Eintracht Frankfurt hier war, habe ich von einem befreundeten Koch in Bad Kleinkirchheim Kärntner Kasnudeln kommen lassen, weil seine Mama die besten macht", erzählt Pappert. "Der Papa von Viktoria Schnaderbeck arbeitet in der Fabrik von 'Steirer Kren', über diesen Kontakt sind wir an die Firma bekommen und bestellen dann bei Bedarf drei Tonnen frisch geriebenen Kren." Das Kürbiskernöl kommt vom Familienbauernhof eines Bekannten in Großwilfersdorf, der Honig aus Kärnten.
Ed Sheeran und der Wiener Kaffee
Neben der Versorgung tausender Fans muss Pappert zudem auf individuelle Bedürfnisse der Spieler eingehen. "Einige haben Rituale, wo der Parmesan frisch gehobelt sein muss", sagt der Bayer. "Wenn du bei dem daheim den Kühlschrank aufmachst, steht da einer in der Dose, der schon vor sieben Wochen vergammelt ist. Aber am Spieltag muss er frisch sein. Dann gibt es Veganer, die sich den Fisch unter dem Salat verstecken lassen.
Bei einem Großereignis wie der EM arbeiten alle zusammen, aktuell "auch der Küchenchef der österreichischen Botschaft." Die VIP-Boxen werden vom österreichischen Catering-Unternehmen Do & Co versorgt. "Sänger Ed Sheeran ist fast jedes Spiel da, der drückt bei Do & Co immer auf die Kaffeemaschine, weil die den Kaffee von Cafe Demel haben. Der sagt mir immer: 'Stefan, der Kaffee schmeckt einfach besser als bei dir.' Dann muss ich das neidlos zugeben, gegen ein Wiener Kaffeehaus komm ich einfach nicht an."
Das kulinarische Duell im Achtelfinale geht nach Pappert "klar an Österreich", ein sportlicher Erfolg würde aber einer Sensation gleichen. Sollte das heimische Nationalteam gar noch zwei Runden überstehen, würde es im Halbfinale erneut ins Wembley gehen. Und dann ginge das ganze Spiel wieder von vorne los: "Wer hat den Kren, wo ist die Kartoffelsuppe, wo ist der Topfen?"