„Luis de la Wer?“ Hohn und Spott erntete Luis de la Fuente, als er nach dem enttäuschenden Achtelfinal-Aus bei der WM 2022 zum Teamchef Spaniens befördert wurde. Der Glamourfaktor dieses personellen Schachzugs war denkbar gering. Die Sinnhaftigkeit umso größer.
Lionel Scaloni kann in Sachen Geringschätzung ein Wörtchen mitreden. Der argentinische Teamchef krönte sich wenige Stunden nach Spaniens 2:1-Sieg gegen England im EM-Finale zum zweiten Mal zum Gewinner der Copa America. 2022 führte er Lionel Messi und Co. zum WM-Titel. Keine schlechte Ausbeute für einen No-Name.
De la Fuente unterrichtete Scaloni
Die beiden eint nicht nur, dass sie beim Amtsantritt sträflich unterschätzt wurden, sondern eine gemeinsame Vergangenheit als Lehrer und Schüler. „Professor De la Fuente hat mich in der Trainerausbildung unterrichtet“, spricht Scaloni heute noch ehrfürchtig vom früheren Lehrmeister, der all den jungen Traineraspiranten immens geholfen habe. De la Fuente wiederum zollt Scaloni Respekt: „Wir haben ein ausgezeichnetes Verhältnis. Er ist Weltmeister. Die Leute haben von Anfang an an ihm gezweifelt, weil er mit wenig Erfahrung kam, aber er hatte das ‚Glück‘, Argentinien zur besten Mannschaft der Welt und Südamerikas zu machen.“
WM, EM, Copa America. Die drei bedeutendsten Nationalmannschaftstitel sind somit seit Sonntag in der Hand von zwei Weggefährten, die zudem eint, dass sie auf Vereinsebene als Coaches kaum auffällig geworden sind. Scaloni spielte bis zum Alter von 37 und wurde mit 40 Teamchef, seine Zeit im Klubfußball dürfte noch kommen. De la Fuente schlug nach zwei Jahren als Übungsleiter bei Athletic Bilbao und einem kurzen Zwischenstopp bei Alaves jedoch bald seine Verbandskarriere als Nationaltrainer im Juniorenbereich ein.
Womit wir bei einem weiteren Punkt sind, der Argentiniens und Spaniens Chefcoach eint: Als Teamchef verfügen sie inzwischen über jede Menge Erfahrung. Bei klassischen Vereinstrainern kann man immer wieder beobachten, wie sie speziell zu Beginn ihrer Nationalmannschafts-Ära mit dem ungewohnten Rhythmus und den vergleichsweise wenigen Spielen und Gelegenheiten für Trainings fremdeln. Erfahrung bei Turnieren ist ohnehin Gold wert.
De la Fuente führte 2015 Spaniens U19 unter anderem mit Rodri und Mikel Merino zum EM-Titel, 2019 legte er jenen mit der U21 unter anderem mit Dani Olmo, Mikel Oyarzabal und Fabian Ruiz nach. Bei Olympia 2021 reichte es nach einer Finalpleite nach Verlängerung gegen Brasilien „nur“ zu Silber, mit Unai Simon, Marc Cucurella, Martin Zubimendi, Pedri, Merino, Olmo und Oyarzabal standen beim Duell um Gold sieben frischgebackene Europameister in der Startelf. Man kennt sich, man vertraut sich, man feierte schon vor dem EM-Titel gemeinsame Erfolge.
Famose Bilanz
Gemeinsame Erfolge konnte er als Boss des A-Teams bald auch mit jenen Akteuren vorweisen, mit denen er noch kein persönliches Naheverhältnis hatte. Zwar ging bereits sein zweiter Auftritt als Teamchef mit einem 0:2 in Schottland komplett daneben, Hohn und Spott stiegen. Danach folgten außer einem 0:1 gegen Kolumbien und einem 3:3 gegen Brasilien in Tests ausschließlich Siege. Die unglaubliche Bilanz: 23 Spiele, 20 Siege, ein Remis, zwei Niederlagen, ein Torverhältnis von 67:21.
Nicht schlecht für jemanden, dessen Job medial nach der Pleite in Schottland in Gefahr war. „Ich war mir immer sicher, dass meine Spieler an mich glauben“, sagte de la Fuente nach dem Titelgewinn in Berlin, „in den vergangenen eineinhalb Jahren, seit ich im Amt bin, waren sie unfehlbar. Jetzt sind wir glücklich, stolz und genießen den Moment. Das haben wir uns verdient, denn uns wurde nichts geschenkt.“ Wer er ist, muss de la Fuente inzwischen definitiv nicht mehr erklären. Was ihn mit Scaloni noch nicht eint? Er muss auf den Kontinentaltitel erst den WM-Titel folgen lassen. Spanien wird 2026 zu den Topfavoriten zählen.