Eigentlich, heißt es über Rodri, gibt es nur eine Sache, die er wirklich gar nicht kann: Sich selbst verkaufen. Mit ein wenig Interesse für Marketing in eigener Sache könne Rodrigo Hernandez Cascante schon längst Weltfußballer sein. Hört man, wie andere den 28-Jährigen promoten, sollte er zum engsten Kandidatenkreis zählen. Wahlweise wird er als Architekt oder Metronom des spanischen Nationalteams bezeichnet. Für Teamchef Luis de la Fuente ist er der „Computer, der alle anderen spielen lässt“. Pep Guardiola, sein Vereinstrainer bei Manchester City, greift in Sachen Lob gleich ins höchste Regal: „Er ist derzeit der beste Mittelfeldspieler der Welt. Mit Abstand der beste.“
Dass er sich besser vermarkten solle, bekomme er öfter zu hören, verrät Rodri: „Aber dafür spiele ich nicht Fußball, ich verstehe den Fußball anders.“ Dies ist nicht nur Gerede, wie eine Kurzzusammenfassung seiner frühen Jahre im Profi-Fußball belegt. Rodri verfügt über ein abgeschlossenes Wirtschaftsstudium. Noch als Profi bei Villarreal lebte er im Studentenwohnheim. Die Leute seien geschockt gewesen, wenn sie Rodri dort erblickten, wie er Tischtennis spielte oder seine Wäsche erledigte, erinnerte sich ein früherer Mitbewohner.
„Das war die beste Zeit meines Lebens“, sagt Rodri heute mit einem breiten Grinsen. Wenn seine Mitspieler nach dem Training nach Hause gefahren sind, sei er auf die Uni: „Mein Gehirn hat sich auch mit anderen Dingen als Fußball beschäftigt. Das war gut für meine mentale Gesundheit. Ich habe Leute aus ganz Spanien getroffen.“ Als Vehikel diente ihm damals ein alter Opel Corsa. Aus Sicherheitsgründen rieten ihm Klubverantwortliche von Villarreal zur Wahl eines anderen Fahrzeugs, weil seines unter all den Luxuskarossen seiner Mitspieler zu sehr auffiel. Rodri entgegnete, ein Auto sei in Wahrheit nur dazu da, ihn „von A nach B“ zu bringen.
Karrieretechnisch ging es für den Studenten rasant nach oben. 2018 blätterte Atletico 20 Millionen Euro für ihn hin. Ein Jahr später ließ sich City seine Dienste 70 Millionen Euro kosten. Ein finanzielles Happy End für Atletico, denn 2013 sortierten ihn die Madrilenen 17-jährig wegen körperlicher Defizite aus. „Mein Vater ist über 1,90, meine Mutter ebenfalls sehr groß. Sie hätten einfach ein bisschen mehr Geduld haben müssen. Mit 18 habe ich zu wachsen begonnen“, sagt Rodri, der heute 1,91 Meter misst. Mental seien es jedoch speziell schlechte Momente wie dieser, an denen man wachsen könne.
Nur eine Niederlage nach 90 Minuten
An fußballerische Größe gewann er in Manchester und folglich auch in der Nationalmannschaft. In beiden Teams ist der Denker und Lenker inzwischen so gut wie unverzichtbar – und beinahe unbesiegbar. Zumindest legt seine Statistik 2023/24 diesen Gedanken nahe. In 63 Einsätzen für City und Spanien in dieser Spielzeit ging Rodri nach der regulären Spielzeit nur ein einziges Mal als Verlierer vom Feld – ausgerechnet im FA-Cup-Finale gegen Lokalrivalen Manchester United. In der Champions League scheiterte die Guardiola-Elf erst im Elfmeterschießen an Real. In der Premier League verlor City nur drei Spiele, bei allen drei fehlte Rodri gesperrt.
2021 verzichtete Guardiola bei der Niederlage im Champions-League-Finale gegen Chelsea auf den Spanier, tendenziell eine der schlechteren Entscheidungen seiner ansonsten so genialen Trainerkarriere. Rodri reagierte auf seine Art. Das Endspiel der Königsklasse 2023 gegen Inter Mailand entschied er mit seinem Goldtor. Es ist auch die gelungene Mischung aus defensiver und offensiver Kompetenz, die den Sechser auszeichnet. Starke acht Tore und neun Assists steuerte Rodri zum vierten Meistertitel in Folge von City bei.
So bemerkenswert seine offensive Entwicklung ist, sein Antrieb ist ein anderer: „Ich habe es geliebt, Tore zu erzielen, bis ich realisiert habe, wie wunderschön es ist, ein Team zu organisieren und anzuführen. Im Mittelfeld bist du ein Teil von allem.“ Als echter Student des Spiels arbeitet der Leader intensiv an den Details und widmet sich nach jedem Match dem Videostudium: „Ich schaue mir jedes Spiel alleine noch mal an. Dabei siehst du viele Dinge, die du am Feld anders gesehen oder gar nicht wahrgenommen hast. Ich analysiere dabei nicht nur mein Spiel, sondern das ganze Team.“ Er betrachte sich als Spieler, der den Fußball verstehen wolle: „Deshalb achte ich beim Videostudium auch kaum auf den Ball. Ich konzentriere mich darauf, was drumherum passiert. Für einen Mittelfeldspieler ist das der Schlüssel.“
Kein Social-Media-Auftritt
Im EM-Finale gegen England wird Rodri wie gewohnt einer der Schlüssel für den Erfolg Spaniens sein. Seine Duelle mit Jude Bellingham oder seinem City-Kumpel Phil Foden werden mutmaßlich zu den mitentscheidenden zählen. Fügt Rodri seinem Lebenslauf einen EM-Titel hinzu, könnte es tatsächlich etwas werden mit der Auszeichnung als Weltfußballer. Eigenwerbung wird er aber weiterhin keine betreiben. Denn wer keinen Social-Media-Auftritt besitzt, tut sich heutzutage schwerer, seine Emotionen mittels Hochglanzbildern in die Fußballwelt zu transportieren. Wobei es eigentlich kein so schlechtes Leben zu sein scheint, sich auf die echten Emotionen zu konzentrieren.