England und Elfmeterschießen, das passt also doch ganz gut zusammen. Die „Three Lions“ zogen am Samstag mit einem 5:3-Triumph über die Schweiz in Düsseldorf ins Fußball-EM-Halbfinale ein. Unter Gareth Southgate wurde zwar das EM-Finale 2021 gegen Italien verloren, das war aber die einzige Niederlage in vier Entscheidungen vom Punkt unter seiner Führung. Verständlich daher, dass der 53-Jährige nach seinem 100. Länderspiel auf Englands Bank intensiv mit seinen Spielern feierte.

Mittendrin im Freudentaumel auch Tormann Jordan Pickford. Der hatte gegen die Schweiz wieder seine „Geheimwaffe“ dabei. Nämlich eine Trinkflasche mit einem Schwindelzettel, der detaillierte Anweisungen über die Schuss-Gewohnheiten sämtlicher Schweizer Spieler bei Elfmetern beinhaltet. „Dive left“ (“Tauche nach links“) stand im Fall von Akanji auf der Flasche. Das machte Pickford auch, hielt den entscheidenden ersten Elfer und brachte seine Mannschaft damit auf die Siegerstraße.

Jordan Pickford hält
Jordan Pickford hält © AP / Hassan Ammar

Für englische Elfmeter-Verhältnisse ist Pickford bereits eine Legende: Vor Pickford hatte England eines von sieben Elfmeterschießen gewonnen. Mit ihm haben sie drei von vier gewonnen und bei dem einen, das sie verloren, hat Pickford zwei Elfer gehalten. Übrigens ist der Trick nichts Neues, auch in der Premier League greift Pickford regelmäßig auf seine Flasche mit diversen Anweisungen zurück.

Der Everton-Tormann hatte auch schon 2021 gegen Italien Elfmeter von Jorginho und Andrea Belotti sowie 2018 gegen Kolumbien einen von Carlos Bacca gehalten. Seit 1990 haben englische Keeper überhaupt nur sechs Versuche beim Elfmeterschießen pariert, vier davon Pickford, dessen Quote damit herausragend ist. „Ich habe an meine Mentalität und an mich geglaubt. Ich habe daran geglaubt, dass ich mindestens einen halten werde“, sagte der 30-Jährige.

An Glaubwürdigkeit gewinnen

Bei seinem Coach Southgate kannten Jubel und Erleichterung nach dem Abpfiff keine Grenzen: „Ich liebe es in diesem Moment mit den Spielern zu feiern. Wenn ich diesen Moment nicht genießen könnte, dann wäre die ganze Sache nur verlorene Zeit.“ Er habe die Aufgabe im September 2016 angenommen, um den englischen Fußball zu verbessern. „Ich wollte, dass wir auf der Weltbühne wieder an Glaubwürdigkeit gewinnen. Ich kann also nicht leugnen, dass es schwierig ist, wenn es auf menschlicher Ebene so persönlich ist, wie es in den letzten Wochen der Fall war“, gab Englands Teamchef preis. Niemals werde er allerdings aufgeben, zu kämpfen. „Wir sind wieder in einem Semifinale und werden sehen, was wir da machen können“, sagte Southgate. In drei der jüngsten vier großen Turniere war England in der Vorschlussrunde vertreten. Southgate hat einen großen Anteil daran.

Um für ein Elfmeterschießen gerüstet zu sein, hatte er immer wieder nach den Trainingseinheiten Strafstöße trainieren lassen. Und das, nachdem er sich schon zum Beginn seiner Ära als Ziel gesetzt hatte, die Mentalität der Spieler so zu verändern, dass sie in entscheidenden Momenten Elfmeter sicher verwandeln können. Im WM-Achtelfinale 2018 hatte es ein 4:3 gegen Kolumbien gegeben, 2021 im Finale gegen Italien ein bitteres 2:3. Dazwischen war ein 6:5 im Spiel um Platz drei der Nations League 2019 gegen die Schweiz. Von einem Elfmetertrauma, das die Engländer zuvor jahrelang begleitet hatte, kann also keine Spur mehr sein.

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Es war erst der dritte Erfolg Englands im Elfmeterschießen bei einer EM oder WM im zehnten Anlauf. „Wenn man Turniere gewinnen will, geht es nicht nur darum, gut zu spielen. Du musst einige dieser anderen Attribute zeigen“, befand Southgate. Vor allem für Saka war es eine besondere Genugtuung, hatte er doch im Wembley Stadium gegen Italien noch vergeben. „Das zu verarbeiten war richtig schwierig, ich bin dadurch aber stärker geworden. Dieses Mal bin ich cool geblieben und habe meine Chance genützt. Man kann einen Fehlschlag haben, aber man muss wieder aufstehen“, sagte der Arsenal-Offensivakteur.

Lob für Saka

Für Southgate stand außer Frage, dass Saka als „einer unserer besten Schützen“ schießen werde. „Es ist ein Traum, mit ihm zu arbeiten. Wir freuen uns für alle, aber für ihn besonders“, betonte Southgate. Der 22-Jährige hatte sein Team zuvor mit dem 1:1 in der 80. Minute als schnelle Antwort auf das 0:1 durch Breel Embolo (75.) in die Verlängerung gerettet. Die Auszeichnung als „Man of the Match“ war absolut verdient. „Das Team hat unglaublich viel Charakter, Herz und Leidenschaft gezeigt“, fasste Alexander-Arnold zusammen.

Am Mittwoch geht es im Kampf um den Finaleinzug in Dortmund gegen Österreichs Gruppengegner Niederlande. „Diese zwei Spiele können unser Leben verändern. Wir können Geschichte schreiben“, verlautete Saka und hat damit auch schon das Endspiel am 14. Juli in Berlin im Hinterkopf. Dort wollen die Engländer ihren ersten EM-Titel fixieren, es wäre zugleich der erste Triumph bei einem großen Turnier seit der WM 1966.