Unmittelbar nach dem dramatischen Last Minute-Aus im EM-Viertelfinale gegen Spanien (1:2 n.V.) waren in der Kabine bittere Tränen geflossen. Und aus der Enttäuschung über den nicht gegebenen Handelfmeter wurde keinen Hehl gemacht. Doch die große Leere wandelte sich am Tag danach im deutschen EM-Lager wieder in ein Gefühl des Trotzes - und der Zuversicht.
Bundestrainer Julian Nagelsmann zeigte sich auf der Abschluss-Pressekonferenz des Gastgebers in Herzogenaurach zum Abschied vom Turnier emotional: „Wir haben es geschafft, die Menschen zu einen. Es gab eine Symbiose zwischen der Mannschaft und den Menschen im Land. Wir hätten gerne den Fans mehr gegeben, wir hätten gerne den Titel geholt. Ich war noch bei keinem anderen Turnier, aber mir wurde gesagt, dass es nicht immer so war, dass jeder Spieler das Camp mit Tränen in den Augen verlassen hat nach sechs Wochen zusammen. Wir hatten ein überragendes Gemeinschaftsgefühl“. Zuvor hatte der Coach bereits den fünften WM-Titel beim Turnier in den USA-Kanada und Mexiko in zwei Jahren als ehrgeiziges Ziel anvisiert.
Zuspruch gab es für den Trainer prompt. „Wir stehen hinter dir und deiner Mannschaft Julian“, postete etwa Schauspielstar und Promi-Fan Heiner Lauterbach, stellvertretend für viele Anhänger „Ihr habt großartig gespielt, fantastisch gekämpft und alles gegeben. Ihr wart neben und auf dem Platz eine Einheit und das war deutlich zu spüren. Der nicht gegebene Elfmeterpfiff und die damit verbundene Chance ins Halbfinale einzuziehen war Betrug. Das muss man leider so deutlich sagen. Wenn ihr bei den nächsten Gelegenheiten nicht wieder betrogen werdet, könnt ihr Großes erreichen. Jedenfalls gebührt euch die Achtung und der Respekt von mir und allen Menschen um mich herum“. Sportdirektor Rudi Völler lobte ebenso: „Es war unser Wunsch, uns an die Weltspitze heranzuspielen, ich glaube schon, dass uns das gelungen ist. Nach einem Rückstand zurückzukommen, wäre vor einigen Monaten noch unvorstellbar gewesen.“.
Fragezeichen hinter Manuel Neuer und Thomas Müller
Mit welchem Personal wird es indes nun weitergehen?
Kapitän Ilkay Gündogan wird wohl weitermachen. Nagelsmann: „Stand jetzt gehe ich auch davon aus, dass er weiter zur Verfügung steht“. Hinter den Routiniers Manuel Neuer und Thomas Müller, der sich mit seinem Jokereinsatz gegen die Iberer auf Platz 3 der deutschen Rekordnationalspieler mit 131 Einsätzen schob, stehen dagegen große Fragezeichen. Der Trend geht Richtung Abschied für das verdiente Duo, das 2014 Teil des WM-Triumphs in Brasilien war. „Es kann schon sein, dass es das letzte Spiel war“, sagte Müller. Im Gegensatz zu Neuer, der sich zurückhaltender äußerte - was nicht jedem gefällt. „Wir haben gute Torhüter. Ich fände es an der Zeit für Manuel Neuer jetzt loszulassen“, sagt Dieter Müller (70) im Gespräch mit der Kleinen Zeitung. Der deutsche Ex-Nationalstürmer und Torschützenkönig der EM 1976 verfolgte das Turnier genau.
Auch er würdigt die Arbeit Nagelsmanns, der eine positive Stimmung neu entfacht habe: „Die Stimmung im Land - einfach traumhaft. Eine gute EM, nur das Glück hat gefehlt. Es war gegen Spanien ein Spiel auf Augenhöhe. Ich hätte nur Florian Wirtz statt Leroy Sané, der im Turnier nie angekommen ist, gerne von Anfang an gesehen. Aber Nagelsmann hat das insgesamt super gemacht. Ich habe schon nicht verstanden, was die Bayern seinerzeit mit ihm gemacht haben. Der WM-Titel ist natürlich ein Ziel, das man haben sollte. Mit Jamal Musiala und speziell Wirtz sind auch Ausnahmespieler dabei, die ihren Weg machen werden.. Wirtz hat das Zeug zum Weltspieler.“
Als Ex-Torjäger, der mit sechs Treffern in einem einzigen Meisterschaftsspiel (!) einen Bundesliga-Rekord hält, weiß der einstige Angreifer des 1.FC Köln und Girondins Bordeaux, woran es den Nachfolgern noch mangelt: „Niklas Füllkrug ist ein guter Mann, aber keine Weltklasse. Ein Stürmer eines Kalibers von Rudi Völler, Klaus Fischer oder Miroslav Klose fehlt“, findet Müller., „da sind wir international nicht vorne dabei.“
Zumal der Abschied des sechsfachen Champions League-Siegers Kroos natürlich schmerze: „Er hatte gegen Spanien Glück, dass er für das Foul an Pedri nicht mit Rot runter musste. Aber klar: Ein großer Spieler und sympathischer Mensch. Kroos gehört für mich neben Franz Beckenbauer, Lothar Matthäus und Fritz Walter zu den größten Spielern der deutschen Fußballgeschichte. Ich wünsche ihm Alles Gute.“ Für viele auch abseits des Platzes. Das zeigte sich auch einmal mehr am Samstag. Denn Größe zeigte der langjährige Stratege von Real Madrid auch im Moment der Niederlage in seinem letzten Spiel als Profi.
Anstatt zu jammern oder wie andere nochmal die Schuld fürs Ausscheiden beim Schiedsrichter zu suchen, wandte sich der Edeltechniker in einem eigenen Statement persönlich an den von ihm gefoulten Youngster Pedri, der laut der spanischen Teamärzte nun mindestens zwei Wochen ausfallen und den Rest des Turniers verpassen wird: „Auf diesem Wege mir noch ganz wichtig: Verzeihung und gute Besserung an Pedri!“, schrieb Kroos am Samstag in den sozialen Netzwerken: „Es war logischerweise nicht meine Absicht dich zu verletzen. Eine schnelle Erholung und alles Gute. Du bist ein toller Spieler.“