„Ich würde ihm die 10 bei Juve geben“, sagt mit Legende Alessandro Del Piero einer der berühmtesten Zehner der Vereins-Geschichte. „Kenan ist talentierter als Cristiano Ronaldo. Seine Technik mit dem Ball ist jener des Portugiesen überlegen“, behauptet mit Soykan Basar der türkische U19-Teamchef. „Ich wette, in fünf Jahren wird Kenan Yildiz für den Ballon d’Or nominiert sein. Ich habe schon mit vielen Spielern zusammengespielt, aber ein solches Talent habe ich noch nie gesehen. Ich bin zuversichtlich, dass ich die Wette gewinnen werde“, glaubt Juve-Tormann Wojciech Szczesny an die Entwicklung des beidfüßigen Hochbegabten zu einem Weltstar des Fußballs.
In Deutschland geboren, bei den Bayern ausgebildet
Die Zukunft des türkischen Fußballs könnte eine rosige sein. Denn während alle Welt über das Superstar-Potenzial von Real-Juwel Arda Güler schwärmt, wächst mit Kenan Yildiz ein zweiter hoffnungsvoller Teenager heran, der das Land von einer Goldenen Generation träumen lässt.
Kommt der seit Anfang Mai 19-Jährige nur in die Nähe der Prognosen, haben zwei Fußball-Institutionen noch mehr Erklärungsbedarf, als sie aufgrund des rasanten Aufstiegs des Offensivspielers ohnehin schon haben: Der DFB und der FC Bayern.
Yildiz ist der Sohn einer deutschen Mutter und eines türkischen Vaters, wuchs in Deutschland auf und schloss sich schon als Siebenjähriger aus Regensburg kommend den Bayern an. Dass er den deutschen Rekordmeister zehn Jahre später mit 17 ablösefrei in Richtung Juventus verließ, ist ein tiefsitzender Stachel. Ebenso stellt sich die Frage, warum das Supertalent nie für eine deutsche Junioren-Auswahl nominiert wurde. Dem Vernehmen nach hat das Yildiz-Lager noch bis kurz vor seinem A-Team-Debüt für die Türkei im vergangenen Herbst Interesse deponiert, für Deutschland zu spielen.
Es kam, wie es im Fußball kommen musste. Nach einem Kurzeinsatz bei seiner Türkei-Premiere bestritt er sein erstes Länderspiel von Anfang an gegen – eh klar – Deutschland und erzielte beim 3:2-Sieg seines Teams ein Tor. Für die DFB-Auswahl war der November-Lehrgang ohnehin einer zum Vergessen, drei Tage später folgte das 0:2 gegen Österreich.
Ab Mitte Dezember erkämpfte sich Yildiz dann regelmäßige Spielzeit bei Juventus. Sein Marktwert ist binnen eines Jahres von einer Million Euro auf 30 Millionen Euro in die Höhe geschossen, womit er gleichauf mit 2005er-Jahrgangskollegen Güler rangiert. Die Rakete Yildiz schwebt in der Fußball-Umlaufbahn. Jene, die ihn verkannten, gerieten in Erklärungsnot.
In einer Stellungnahme des DFB hieß es, Yildiz sei „ein Spieler der Generation, für die aufgrund der Corona-Pandemie in der U15 und U16 zu großen Teilen keine Lehrgänge stattgefunden haben. Als er in die U17 kam und erstmals ein EM-Turnier am Ende der Saison in Aussicht war, hatten wir einige Spieler im Jahrgang, deren Potenzial wir höher eingeschätzt haben und von deren Entwicklung wir immer noch überzeugt sind.“
Auch die Bayern setzten sich öffentlich gegen den Vorwurf, das Talent des Shootingstars übersehen zu haben, zur Wehr. Die finanziellen Forderungen seien schlichtweg zu hoch gewesen. Holger Seitz, Trainer von Bayern II und Wegbegleiter im Bayern-Campus, bekräftigte, dass man Yildiz ziehen lassen musste, weil er sich gemeinsam mit seiner Familie und seiner Berater-Agentur für einen anderen Weg entschieden habe: „Das hat schon wehgetan, weil er sehr lange bei uns ausgebildet worden ist. Wenn uns dann Spieler verlassen, wenn es im oberen Bereich spannend wird, tut es weh.“ Gleichzeitig betonte der Coach, dass dies das Geschäft sei: „Und so wie es jetzt für ihn läuft, hat er sicherlich einiges richtig gemacht.“
Diesen Ausführungen hielt Berater Hector Peris bei „Sky“ entgegen, dass es für Yildiz bei den Bayern unangenehme Momente gegeben habe: „Es gab Leute, die ihn, aus welchen Gründen auch immer, nicht richtig fördern wollten.“ Einzig Hasan Salihamidzic und Marco Neppe, damals Sportvortand und Technischer Direktor, hätten sich um einen Verbleib bemüht. Gleichzeitig berichtete Peris von landesweiter Ignoranz: „Wir haben ihn allen wichtigen Vereinen in Deutschland angeboten, die mit Talenten arbeiten. Keiner von ihnen hatte das geringste Interesse.“
Den Zuschlag bekam schließlich Juve. Auch der FC Red Bull Salzburg soll damals angeklopft haben, als Favorit galt der FC Barcelona. In Turin erwies sich Ex-Coach Massimiliano Allegri als Förderer. Wobei das Talent nach seinem Serie-A-Debüt erst einmal eine Bedingung des Übungsleiters zu erfüllen hatte: „Er hat hundert Mal seine Haare berührt. Er muss sich morgen die Haare abschneiden lassen. Dann können wir weitermachen.“ Yildiz ging tatsächlich zum Frisör: „Ich werde alles tun, was Sie sagen, Sie sind der Boss.“ Allegri: „Das zeigt, dass er ein kluger Junge ist, der zuhört.“
Bei der EM stand der Stürmer bei beiden Siegen in der Startelf, bei der Niederlage gegen Portugal wurde er eingewechselt. Bei der 1:6-Niederlage im Test gegen Österreich im März spielte er durch. Seit den 90 Minuten im Happel-Stadion weiß Yildiz, was im Achtelfinale auf die Türkei zukommt. Gleichzeitig hegt er Revanchegelüste: „Wir werden gegen eine sehr gute Mannschaft spielen, das haben wir im Freundschaftsspiel gesehen. Wir haben eine heftige Niederlage kassiert und das gibt uns Motivation.“