Es war eine kurios anmutende Diskussion im Vorfeld der EM. Und sie wurde nicht nur am Wirtshaustisch geführt. Die entscheidende Frage im EM-Gastgeberland Deutschland: Ist Manuel Neuer der richtige Mann im Tor der DFB-Elf? Mit Marc-Andre ter Stegen war ein würdiger Ersatzmann gefunden. Neuer verpasste verletzungsbedingt einige Spiele am Ende der Saison. Und wenn er spielte, strahlte er nicht jene Sicherheit aus, die man von Neuer gewohnt war.
Beispiel: Champions-League-Halbfinale. Da hielt der Bayern-Schlussmann seine Mannschaft gegen Real Madrid seine Mannschaft lange Zeit mit großartigen Paraden im Spiel, um dann doch einen Ball auszulassen, den er in Topform halten würde. Beispiel: DFB-Test gegen die Ukraine: Neuer macht im Spielaufbau einen gravierenden Fehler, der aber nicht bestraft wurde. Beispiel: DFB-Test gegen Griechenland. Die Deutschen siegten 2:1, dem Tor der Griechen ging aber ein schwerer Patzer Neuers voran. Das Ende einer Fehlerkette. „Ich schaue nur auf mich, ich hätte den Ball besser wegbringen müssen“, sagt der Torhüter nach dem Spiel selbstkritisch.
„Neuer hat diese Sicherheit nicht. Die Diskussion wird nicht weniger nach dem Spiel“, stellte etwa Experte Lothar Matthäus auf RTL fest. Und Steffen Freund zielt in eine ähnliche Richtung: „Den muss er haben.“ Medial wurde die Leistung Neuers zum Thema: „Die T-Frage“, titelte etwa der Spiegel. Unbeeindruckt von Zurufen und Analysen blieb Bundestrainer Julian Nagelsmann. „Mir ist bewusst, dass das Thema in den Medien diskutiert wird. Auch wenn ich den Sinn nicht nachvollziehen kann. Jeder Deutsche sollte ein Interesse daran haben, dass jeder Spieler gefestigt und stabil spielt“, erklärte Nagelsmann in der Pressekonferenz nach dem Spiel gegen Griechenland. „Ich nehme keine Selbstzweifel bei ihm wahr. Das ist wichtig. Ich lasse keine Diskussion aufkommen.“
Und Nagelsmann sollte recht behalten. Bei der EM agiert Neuer bislang ohne Fehl und Tadel. Er zeigt – im Grunde wie immer – Weltklasseparaden. Und spart sich bislang die Patzer. Schweiz-Kapitän Granit Xhaka kann davon etwa ein Lied singen: Aus etwa 20 Metern visiert der Leverkusen-Abräumer das rechte Eck des Tores mit seinem fantastischen linken Fuß an. Ein Abschluss, der zum frühzeitigen Jubeln einlädt: Aber eben nicht, wenn Neuer im Tor steht.
Das weiß auch Bayern-Ersatztormann Sven Ulreich: „Dieser Ball von Xhaka, der macht alles gut. Wir können froh sein, dass wir so einen Torwart im Tor haben“, sagt er in der Abendzeitung. Schon gegen Ungarn hätte Neuer „Weltklasse“ gehalten. Schon im Vorhinein hat Ulreich die Diskussion nicht verstanden: „Ich habe schon im Freundes- und Familienkreis gesagt: ‚Ich kann nicht nachvollziehen, warum in Deutschland über ihn diskutiert wird.‘ Wir erleben noch den größten Torwart aller Zeiten - das ist das Schönste!“ Neuer habe „das Tormannspiel weltweit auf eine andere Ebene gehoben. Deshalb sind diese Diskussionen unverständlich. In anderen Ländern würde darüber nicht diskutiert werden, wenn er mal den Ball fallen lässt.“