Jetzt schon von der österreichischen Version eines Sommermärchens zu sprechen, sei „viel zu früh“, tadelt Marcel Sabitzer. Dieser Eindruck mag eventuell auch durch die emotionalen Jubelbilder im Olympiastadion entstanden sein. „Wer uns Österreicher kennt, weiß: Wir arbeiten sehr hart, aber wir feiern sehr gut“, schmunzelt Marcel Sabitzer.
Momente wie nach dem 3:2 gegen die Niederlande und dem damit verbundenen Gruppensieg müsse man genießen dürfen. „Das tun wir im Fußballerleben ohnehin viel zu selten“, weiß der Siegtorschütze, „in der Kabine oder im Bus läuft nach jedem Spiel Austropop. Wir fühlen uns mit unserem Land sehr verbunden.“ Den Genuss solcher Momente dürfe man jedoch nicht mit zu großer Euphorie verwechseln, warnt der Steirer.
Es sind Nuancen wie diese, welche die Entschlossenheit dieses Nationalteams zeigen. Im Moment bleiben, zwar Großes vorhaben, aber den Fokus nicht verlieren. Das Erreichen des Minimalziels ist für diese Mannschaft noch kein Sommermärchen, eher ein abgehakter Agendapunkt.
Die Mannschaft ist es auch, die Sabitzer in den Mittelpunkt stellt, nachdem er nach hervorragender Leistung zum „Man of the Match“ gekürt wurde. Der 30-Jährige spricht von vielen Aufs und Abs in den vergangenen Monaten. Sportlich galt es etwa das verlorene Finale der Champions League mit Borussia Dortmund zu verkraften. Danach hieß es, sich mental neu zu sammeln. Niemand stellte infrage, als er sich für die EM-Generalprobe in der Schweiz noch nicht bereit gefühlt hat. „Halt, Zutrauen und Vertrauen“, würden ihm die ÖFB-Kollegen geben, „ich genieße jeden Tag mit dieser Mannschaft und diesem Trainerteam. Ich würde gerne noch lange da sein. Ich habe so richtig Bock hier zu spielen.“
Die Debatte, ob Österreich nach dem Gewinn dieser schwierigen Gruppe nun ein Geheimfavorit oder gar schon ein Mitfavorit auf den Titel ist, ist entbehrlich. Sabitzer wählt bewusst die Floskel, dass man von Spiel zu Spiel schaut und erneuert die Gewissheit, dass man jeden Gegner schlagen könne. „Das wird noch ein sehr schwerer Weg. Aber wenn du mal im K.o.-System bist, kannst du auch mal in einen Lauf reinkommen.“
Sabitzers Treffer zum 3:2 gegen die Niederlande wird als jener in die Geschichte eingehen, der Österreich den Gruppensieg beschert hat. „Eiskalt reingemacht“, grinst Sabitzer, der aus spitzem Winkel selbst den Abschluss gesucht hat, weil die gegnerischen Verteidiger in der Mitte in der Überzahl gewesen seien: „In der Vergangenheit hat mich der linke Fuß selten im Stich gelassen. Nachdem der Ball meinen Fuß verlassen hat, habe ich sofort gemerkt, dass er gut werden kann.“
TV-Experte Lothar Matthäus meinte sinngemäß, dass Sabitzer diverse Position spielen könne und das auch gleichzeitig. „Gleichzeitig eher schwierig“, setzt der ÖFB-Star eine anatomische Grenzen anerkennende Pointe, spricht von seiner Laufbereitschaft und der Lust auf Balleroberungen: „Ich laufe gerne überall rum.“ Der 81-fache Internationale verkörpert die Idealvorstellung von Ralf Rangnick an einen Fußballer. Der Teamchef wiederum habe das Nationalteam in den vergangenen beiden Jahren entscheidend weiterentwickelt: „Davor waren wir etwas passiv gegen den Ball, jetzt sind wir sehr stark gegen den Ball. Das haben wir auf alle Fälle verändert. Er hat reingebracht, dass jeder bei Ballverlust sofort umschaltet und auf Balljagd geht.“
In Österreich hat man sich an diesen Spielstil bereits gewöhnt. Nach den Siegen gegen Polen und die Niederlande lässt sich beobachten, wie auch die internationale Öffentlichkeit diverse Tugenden der rot-weiß-roten Auswahl beeindruckt zur Kenntnis nimmt. Woher denn die Mannschaft die Energie nehmen würde, nach zweimaligem Ausgleich unbeirrt auf die erneute Führung zu spielen? Sabitzer lapidar: „Wir schütteln uns kurz und machen einfach weiter.“ Man lernt die Österreicher immer besser kennen: Sie arbeiten hart. Und sie sind gierig auf weitere Gründe zum Feiern. Sabitzers persönliche und momentan sehr von Rainhard Fendrich geprägte Hitparade deckt sich aktuell mutmaßlich jener von vielen Landsleuten: „I am from Austria vor Strada del Sole. Das sind unsere Hits.“