Halbfinal-Stimmung gefällig? Bitte sehr! Die Europameisterschaft 2024 hat ihren ersten Super-Tag. Und bei allem Respekt vor Slowenien und Serbien – aber wirklich prickelnd wird es ab 18 Uhr. England trifft in Gruppe C auf Dänemark und kann das Viertelfinal-Ticket buchen, in Gruppe B kommt es zum Schlager zwischen Spanien und Italien – beide siegten am ersten Spieltag.

Was die beiden Duelle so besonders macht? Als 2021 zuletzt der Europameister ermittelt wurde, kam es im Halbfinale zu genau diesen Duellen. England setzte sich damals gegen Dänemark durch, Italien wies Spanien in die Schranken. Beide Partien wurden erst nach der 90. Minute entschieden – das ist heute ausgeschlossen. Für England sorgte Harry Kane in der 104. Minute dafür, dass die Dänen – nach der Herzattacke von Christian Eriksen noch mehr zur Einheit geworden als ohnehin schon – nicht auf den ersten Titel seit 1992 hoffen durften. Bei Italien gegen Spanien entschied damals erst das Elfmeterschießen. Während England gegen Dänemark die spielbestimmende Mannschaft war – mehr Ballbesitz, mehr Abschlüsse –, beschränkten sich die Italiener gegen Spanien aufs Verwalten. 29 Prozent Ballbesitz reichten der Mannschaft von Roberto Mancini – und er behielt mit seiner Herangehensweise Recht. Die Italiener wurden Europameister.

Die Italiener wollen jetzt auch den Ball

Fußball ohne Ballbesitz gibt es im Repertoire von Luciano Spalletti, dem aktuellen Teamchef der Italiener, aber nicht. Arrigo Sacchi, italienische Trainerlegende und „Erfinder“ der Viererkette und Raumdeckung, bezeichnet Spalletti als „idealen Trainer für Italien, um zu beweisen, dass wir nicht nur Catenaccio sind“. Mit Napoli – Spalletti führte die Süditaliener im vergangenen Jahr zum ersten Scudetto seit 1989/1990 mit Diego Maradona – legte der 65-Jährige viel Wert auf Ballbesitz und einen kontinuierlichen Angriffsvortrag. Sacchi: „Für mich ist Spalletti ein Meister, jemand, der Fußball lehrt und der es durch seinen Spielstil schafft, seine Spieler zu verbessern.“ Und nach dem Auftaktsieg gegen Albanien war Spalletti zumindest phasenweise zufrieden mit dem Spiel seiner Mannschaft: „Seit ich angefangen habe, als Trainer zu arbeiten, wurde mir gesagt, dass es wichtig ist zu gewinnen. Nein, wichtig ist, dass wir gut spielen. Damit wir versuchen können, bei der EM 2024 zu gewinnen, müssen wir guten Fußball spielen“, sagte er und war vor allem mit der Leistung seiner Mannschaft in der zweiten Hälfte einverstanden.

Fußball ohne Ballbesitz gibt es auch bei den Spaniern nicht. Und doch hatten die Iberer beim 3:0 gegen Kroatien zum Auftakt weniger Ballbesitz als der Gegner. Früher, mit Xavi, Iniesta und der Prägung von Pep Guardiola undenkbar. Und die Spanier fuhren gut mit dem Tiki-Taka-Spielstil. Von 2008 bis 2012 jubelte man über zwei Europameistertitel und einen Erfolg bei einer Weltmeisterschaft. „Wir haben den Ball gerne, aber das ist schwer genug gegen gute Mannschaften“, sagte Mittelfeld-Spieler Fabian Ruiz, Torschütze und Assistgeber beim Auftaktmatch der Spanier. „Entscheidend ist nicht der Ballbesitz, es sind die Tore“, sagte er aber auch. Und die Spanier wussten durch Geradlinigkeit Richtung Tor des Gegners zu überzeugen. Luis de la Fuente will das nicht als völlige Abkehr vom Ballbesitzfußball verstanden wissen. „Wir sind sehr vielseitig und haben verschiedene taktische Optionen in unserer Spielweise“, sagt der 62-Jährige. „Wir haben Spieler, die verschiedene Qualitäten haben. Unsere schnellen Spieler geben uns viele Optionen. Diese Mannschaft kann auf Ballbesitz spielen, wir können aber auch Konter spielen.“

England hat ein Kane-Problem

Das können auch die Engländer. Aber die Mannschaft von Teamchef Gareth Southgate präsentierte zum Auftakt beim 1:0 über Serbien nur Schonkost. Mittelstürmer Harry Kane war kaum ins Spiel eingebunden und hatte in der ersten Hälfte nur zwei Ballkontakte. Die Flügelspieler Bukayo Saka – er bereitete zumindest das Tor durch Jude Bellingham vor – und Phil Foden fielen kaum auf. Lediglich Bellingham und Declan Rice überzeugten vollends. Gerade Kanes Positionierung gegen Serbien fand in England nicht nur Zustimmung. „Harry Kane spielt die gleiche Rolle wie Erling Haaland bei Manchester City - er ist außerhalb des Strafraums nicht aktiv und wartet auf eine Chance“, analysierte Jamie Carragher für den Telegraph.

Das Problem: Das ist nicht Kanes Spiel, der sich bei den Bayern oft auf den Flügel oder ins Mittelfeld fallen lässt, um den Raum für nachkommende Spieler zu öffnen. Wenn Southgate für den Rest der EM an diesem System festhält, wird das Kane stark beeinträchtigen“, schreibt Carragher weiter. Für Kane kein Problem, er weiß über die Gründe seiner Positionierung und erklärt auch: „Ich war etwas höher positioniert, weil die Serben gerne Manndeckung spielen. Das wird in jedem Spiel anders aussehen, manchmal ein bisschen höher, manchmal ein bisschen tiefer.“ Bleibt abzuwarten, welche Herangehensweise Southgate gegen die Dänen wählt. Die stehen nach dem Unentschieden gegen Slowenien bereits unter Druck.