Die EM ist erst wenige Tage alt, da hat sie schon ihren ersten Trend. Zumindest in Holland: das Stirnband. Der niederländische Offensivspieler Memphis Depay adelte das sportliche Accessoire. Im Testspiel gegen Kanada, kurz vor Turnierbeginn, lief Depay zum ersten Mal mit Stirnband auf und sorgte für mächtig Aufsehen. Der niederländische Nationaltrainer Ronald Koeman zeigte sich erstaunte und bekannte: „Ich werde nicht so gern überrascht.“ Das störte Depay nicht. Er trug das Band auch in der Vorbereitung im Training sowie im Testspiel gegen Island. In der ersten EM-Begegnung beim 2:1 gegen Polen ergänzte Depay das weiße Band sogar um zwei kleine Merkmale. Seine Rückennummer, eine goldene Zehn, war eingeflochten und am Hinterkopf prangte der Schriftzug „Who cares“ -Wen stört‘s?.
In der Heimat ist nämlich mächtig was los. Das Boulevardblatt „Telegraaf“ befragte eine Wahrsagerin zum Nutzen der modischen Ergänzung, andere Medien verwiesen auf Tennisspieler wie Björn Borg und John McEnroe, die das damals noch Schweißband genannte Accesoire in den 1980er-Jahren in den Sport einführten. Damals rollte die Aerobic-Welle gerade an, wichtig war nicht nur Bewegung, sondern auch das Aussehen. Und schon bald wurde aus „Trimm Dich“ ein Workout.
Memphis: „Mir gefällt‘s“
Das Stirnband zog vom Center Court bald weiter zum Fußball. Brasilianische Stars wie Socrates und Ronaldinho liefen mit Schweißband auf. Modebewusste italienische Kicker wie Fabio Cannavaro oder Filippo Inzaghi schrumpften das Ganze später beträchtlich, so machte Italien in den 90er-Jahren neben der Vierer-Kette auch das Haarband im internationalen Fußball - nun ja - salonfähig.
„Mir gefällt‘s und meiner Freundin auch“, ließ Depay seine Kritiker wissen. Doch hat sich der Trend seither verselbstständigt. Eine Bäckerei in den Niederlanden lässt ihre Beschäftigten zur EM mit Stirnband antreten, auch die Fanartikelhersteller rüsten auf. „Ausverkauft“, meldet der Fastnachtsartikelvertrieb carnevalskleding.nl. Die Kette „Intersport“ teilte mit: „Normalweise verkaufen wir den Artikel hundert bis fünfhundert Mal pro Woche. Jetzt ist es das Zehnfache.“ Die Niederlande haben ihre Linie im Turnier gefunden - nicht allein dank des Siegtreffers des Mentalitätsbiests Wout Weghorst im Auftaktspiel gegen Polen.
Inzwischen wird das Stirnband in Holland längst kulturwissenschaftlich analysiert. „Doe maar gewoon, dan doe je al gek genoeg“, heißt eine Weisheit im Land. Frei übersetzt: Mach mal halblang, das ist schon schräg genug. Nur nicht auffallen also und einfügen ins Kollektiv. „Wer heraussticht, wird schnell als extrovertiert eingestuft“, erläutert Kulturwissenschaftlerin Saskia Maarsen im Sender NOS. Die Forscherin führt das auf alte Kaufmannseigenschaften zurück. Es geht um redlichen Handel, nicht ums Hervorstechen.
Lisa Goudsmit beruft sich auf die calvinistischen Traditionen des Landes. „Den Kopf nicht so weit rausstrecken“, sagt sie. Goudsmit muss es wissen, sie ist Chefredakteurin der niederländischen Vogue. „Depay macht macht manchmal verrückte Dinge. Aber beim Sport geht‘s um Funktionalität“, mahnt Goudsmit.
Verständlich. Aber, es gab auf dem Fußballplatz schon die Radlerhose unter dem Trikot-Outfit und das Nasenpflaster zog sich in den 90er-Jahren bis hinab in die Kreisligen. Beider Nutzen war mehr als umstritten. Doch ließen sich die Gadgets nicht aufhalten. In den Niederlanden scheint der Trend zum Stirnband ungebrochen. Rafael van der Vaart, ehemaliger niederländischer Nationalspieler, auch in Diensten das Hamburger SV, kündigte an, als Fernsehexperte mit Haarband anzutreten, sollten Holland das Finale erreichen. Und Memphis Depay? Erschien schon vor zehn Jahren zur Premiere bei Oranje im extravaganten Outfit: mit grünem Hut. Damals aber nur außerhalb des Platzes. Und das Stirnband? „Sieht gut aus. Und saugt den Schweiß auf“, lässt Depay wissen. Die beste aller Antworten. Selbst der Künstler ist auf dem Platz harter Arbeiter. Mehr können die nörglerischen Traditionalisten in den Niederlanden von ihrem Kollektiv der Individualisten nicht wollen. Fehlt nur noch der Titel.