Binnen drei Tagen war Didier Deschamps plötzlich das einzige Mitglied eines ohnehin sehr elitären Kreises. Am 5. Jänner dieses Jahres verstarb Mario Zagallo, am 7. Jänner folgte ihm Franz Beckenbauer. Man muss nicht jede Laune des Fußball-Gottes verstehen. „Mein heutiger Kummer ist so groß wie die Freude, die ich empfand, als ich eingeladen wurde, am Tisch dieser beiden Giganten des internationalen Fußballs zu sitzen“, trauerte Deschamps, der von nun an als einzige Person auf Erden erzählen kann, wie es sich anfühlt als Spieler (1998) und als Trainer (2018) Weltmeister zu werden.

Wie man als Spieler Europameister wird, weiß er seit 2000. Wird Frankreich unter seiner Anleitung als Teamchef bei der Euro 2024 seiner Favoritenrolle gerecht, könnte der 55-Jährige eine im Nationalteam-Fußball unerreichte Ausbeute vorweisen. Dennoch lässt sich nicht behaupten, dass der respektierte Deschamps ähnlich vergöttert wird wie etwa Beckenbauer. „Pragmatisch“ ist der Begriff, der vielen als erstes in den Sinn kommt, wenn sie an den früheren Sechser denken, der als Aktiver 103 Länderspiele sammelte und sowohl WM- als auch EM-Trophäe als Kapitän in Empfang nahm.

Der Wasserträger

Harte Arbeit und Leadership zeichneten schon den Spieler Deschamps aus. Ungeteilte Bewunderung erntet man dafür nicht. Vor allem wenn man am Platz für eine Ikone wie Zinedine Zidane schuftet, der er stets den Rücken freihielt. Als „Wasserträger“ bezeichnete ihn mit Eric Cantona ein anderer Superstar und meinte es nur bedingt freundlich: „Spieler wie ihn findest du an jeder Straßenecke.“

Als Spieler ist Didier Deschamps schon Europameister
Als Spieler ist Didier Deschamps schon Europameister © GEPA

Auf die fußballerischen Grundlagen mag dies zugetroffen haben. Aber war auch jeder so zäh? So durchsetzungsstark? Ähnliche Eigenschaften lassen sich beim Trainer Didier Deschamps diagnostizieren. Es ist nicht so, dass er als Teamchef keinen Kummer gewöhnt ist. Er hat bereits das Finale einer (Heim-)EM (2016) und WM (2022) verloren – ein Double, das man keinesfalls erleben möchte. Bei der Euro 2021 kam das Out sensationell im Achtelfinale gegen die Schweiz. Trotzdem ist Deschamps nach mittlerweile zwölf Jahren und 153 Länderspielen immer noch im Amt.

„Ob in meinem ersten Leben als Spieler, auch als ich bei großen Teams spielte, oder in meinem zweiten Leben als Trainer: Die französische Nationalmannschaft stand für mich immer über allem“, sagt Deschamps, der als Mittelfeldspieler einer großen Generation angehörte und nun aus einem Reservoir an Spielern rund um Ausnahmeerscheinung Kylian Mbappé schöpfen kann, das man als glückliche Fügung einordnen muss.

Ein derartiges Star-Ensemble zu moderieren, mag nicht immer einfach sein. Er selbst beschreibt seinen Stil so: „Es ist nicht die Aufgabe der Spieler, sich mir anzupassen, sondern ich bin derjenige, der sich meinen Spielern anpassen muss“, erklärt Deschamps und verweist darauf, sich stets daran zu erinnern, was er einst an Trainern als positiv empfunden habe: „Dem füge ich meine eigene Handschrift hinzu. Wenn ich einem Spieler sage, dass ich weiß, wie er sich fühlt, liegt das daran, dass ich vielleicht in der gleichen Situation gewesen bin.“

Es geht um Resultate

Über allem steht der Erfolg. Das war schon als Kicker so. Angesichts der Vita bei Großereignissen könnte man vergessen, dass er mit zwei Klubs (Marseille und Juventus) die Champions League gewann und mit beiden Vereinen jeweils drei Mal Meister wurde. 2010 führte er Olympique auch als Trainer zum Titel. Während es in der Öffentlichkeit mitunter skeptisch beäugt wird, dass Deschamps trotz der offensiven Crème de la Crème Frankreichs die defensive Balance nicht aus den Augen lässt, scheinen seine Spieler ihn zu verstehen. So schwer ist die Message auch nicht zu kapieren: „Um zu bestehen, brauchst du Resultate.“

Das erste gute Resultat bei dieser EM soll gegen Österreich eingefahren werden. Von der ÖFB-Elf hält Deschamps sehr viel. Er hat seine Späher ausgeschickt und zeigt sich bestens im Bilde. „Sie spielen auf sehr hohem Niveau“ meinte der Cheftrainer der „Bleus“ und erwähnte dabei den direkten Zug der Österreicher zum gegnerischen Tor und als große Stärke das Pressing.“