Das Eingeständnis klang ehrlich. „Wir hatten schwierige Jahre in Deutschland“, hieß es. Und: „Wir haben noch viele Herausforderungen, aber die gröbsten, ja existenziellen Herausforderungen der letzten zwei Jahre haben wir im Griff.“ Das klang sehr nach Bundestrainer Julian Nagelsmann, der die Auswahl des Deutschen Fußball-Bunds (DFB) vor dem EM-Eröffnungsspiel am Freitag gegen Schottland nach der verheerenden Niederlage gegen Österreich im vorigen Jahr wieder halbwegs auf Kurs gebracht hat – auch dank Rückkehrer Toni Kroos. Aber es ging nicht um eine sportliche Bilanz. Es sprach Wirtschaftsminister Robert Habeck in einem Grundsatz-Interview zur politischen Lage im Land. Und das nicht im „Spiegel“, sondern im Fußballfachblatt „kicker“. Es ist ein bisschen was im Fluss in Deutschland.

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Das Land startet in eine Heim-EM. Doch irgendwie weiß niemand genau, wie es ums Land gerade steht. Nicht nur sportlich. So hoffen fast alle, wenn nicht auf ein Wunder so doch zumindest auf die Wiederholung eines Märchens. „Volle Unterstützung auf ein Sommermärchen“, fordert die Union in der Bundestagsdrucksache 20/10068. Ganz so, als ließe sich sportlicher Erfolg verordnen wie ein Abgasgrenzwert.

Der deutsche Motor stottert

Der deutsche Motor stottert. Deshalb blicken alle zurück auf den Sommer 2006. Damals stand Deutschland vor der Heim-WM. Auch damals war nicht ganz klar, wo das DFB-Team zu verorten ist. Und auch damals war das Land im Jahr 1 der Regentschaft von Angela Merkel auf der Suche nach sich selbst. Es folgte das Sommermärchen. Das DFB-Team landete auf Platz 3, die Wirtschaft nahm Fahrt auf, die Welt entdeckte entspannte Deutsche.

Und das Land entdeckte „Schwarz-Rot-Geil“ (Copyright: „Bild“). Das neue Deutschland schien nach der Wiedervereinigung versöhnt – mit sich und der Welt. Dazu passte der Slogan des Turniers: „Die Welt zu Gast bei Freunden.“ Ersonnen hatte es der Wiener Künstler André Heller. Der räsonierte später, die WM 2006 habe mehr für Deutschlands Ansehen in der Welt getan als etliche Auslandsvertretungen. Nation-Branding heißt das in der Sprache der Diplomatie. Es gibt eben auch jenseits des Fußballfelds einen Matchplan.

Jetzt hoffen alle auf einen Wiederholungseffekt. Gern werden im Land Parallelen gezogen zwischen Politik und Sport. Der überraschende Gewinn bei der WM 1954 mit dem Wunder von Bern wird als der „eigentliche Gründungsakt der Bundesrepublik“ gesehen. Das wehende Haar von Günther Netzer bei der WM 1974 gilt als Beleg für die neue Leichtigkeit in der Ära der sozialliberalen Koalition. Höhepunkt: Der WM-Erfolg 2014 mit dem 7:1 im Halbfinale gegen Brasilien. Ein Spiel voller Leichtigkeit. Endlich fühlte sich Deutschland von der Welt so wahrgenommen wie es sich selbst gerne sieht.

Vom leichten Spiel vergangener Tage ist wenig geblieben. Auch deshalb bedurfte es der Rückkehr von Toni Kroos ins Mittelfeld des DFB-Teams. Gesucht wird ein Anker. Nicht nur auf dem Platz. Stattdessen Führungsdebatten - in der SPD über den Kanzler, in der Union über den Kanzlerkandidaten und im Nationalteam über Keeper Manuel Neuer, der zuletzt eine Pannenanfälligkeit zeigte wie sonst nur die Deutsche Bahn.

Füllkrug kam per Bahn ins Trainingscamp

Nationalstürmer Niclas Füllkrug reiste vor dem Turnier tatsächlich mit dem Zug ins Quartier der DFB-Elf nach Herzogenaurach an. Der Spieler ist ein eher traditioneller Angreifer. Eine echte Neun in Zeiten von abkippender Sechs. Es geht auch klassisch in Zeiten von Laptop-Trainern.

Füllkrug verpasste auf der Anreise übrigens zwei Züge. Hatte aber dennoch Spaß, weil er im überfüllten Ersatzzug auf eine Matura-Abschlussfahrt traf. Es soll sehr lustig gewesen sein. Dazu passt, dass der schottische Fan-Verband seine Mitglieder vor der Deutschen Bahn offiziell warnte und dazu riet, ein paar Züge früher zu buchen, wolle man den Anstoß nicht verpassen. Nicht so günstig für die Außendarstellung.

Könnte schwierig werden mit dem Sommermärchen. Man kennt das von Kindergeburtstagen. Nie werden sie schon wie im vergangenen Jahr. Zeit also, dass der Ball rollt. Und ein bisschen Luft abgelassen wird von den ganzen Erwartungen. Fußball ist ein schöner Sport. Aber eben doch nur ein Spiel. Wie sagte Franz Beckenbauer seiner Elf vor dem siegreichen WM-Finale 1990 in Rom: „Geht’s raus und spielt’s Fußball.“ Anpfeifen!

Bitte! Den Rest außerhalb des Platzes klären wir später.