In der schottischen Hymne wird sie besungen, die „Flower of Scotland“. Damit ist nicht die Nationalblume – die Distel – gemeint, sondern die Jugend Schottlands. Besungen wird der heldenhafte Kampf gegen die Herrschaft König Edwards II. aus dem Süden, in dem viele in der Blüte ihres Lebens an der Seite von William Wallace und Robert the Bruce gekämpft haben und ihres gaben. Mit Inbrunst singen die stolzen Schottinnen und Schotten diese Zeilen, und das werden sie auch am ersten Tag der Europameisterschaft tun, wenn Gastgeber Deutschland zum Eröffnungsspiel bittet. Das ungleiche Kräfteverhältnis spiegelt sich allein schon im Marktwertverhältnis der Mannschaften von 851:207 Millionen Euro zugunsten der Deutschen wider. Doch eines lässt sich nicht mit Gold aufwiegen: das Kämpferherz.

Die Schotten reisen am Donnerstag aus Garmisch-Partenkirchen zum Spiel in München an. In der bayerischen Stadt wurde das Team um Andy Robertson (FC Liverpool) und Mittelfeldspieler Scott McTominay (Manchester United) mit Blasmusik, Alphörnern und Dudelsäcken herzlich empfangen. Inklusive einer Schuhplattler-Einlage, bei der Mittelfeldspieler John McGinn (Aston Villa) sein tänzerisches Talent unter Beweis stellte. Untergebracht ist die Mannschaft im Hotel Obermühle, die Wünsche waren nicht besonders extravagant. Nur die Eismaschine wird auf Hochtouren laufen: 200 Kilogramm werden täglich für die Eistonnen benötigt.

Besondere Sicherheitsvorkehrungen waren wegen der schottischen Fans im Freistaat nicht nötig, denn sie gelten als lautstark und reisefreudig, aber sanftmütig. Als „Tartan Army“ haben sie sich bereits einen Namen gemacht und reisen zu Tausenden nach Deutschland. Kein Wunder, denn allzu oft waren die Schotten bei kontinentalen Endrunden nicht dabei. 1992 (Schweden), 1996 (England) und 2021 waren die „Bravehearts“ dabei, doch die Reise endete jeweils in der Vorrunde. Ähnlich erging es dem Team bei den WM-Teilnahmen. Die Fans sind schon von weitem an einem Lied zu erkennen: „We‘ll be coming.“

Die Teilnahme an der Endrunde war eine Überraschung. Trainer Steve Clarke hatte seinen Mannen drei schottische Grundtugenden eingeimpft: harte Arbeit, Bescheidenheit und Stoizismus. So war das klare und sehr körperbetonte Spiel nach vorne zwar nicht schön anzusehen, aber effizient. Und die Fans strömten wieder ins Stadion. In der Qualifikation gab es eine beeindruckende Serie von fünf Siegen in Folge (Zypern 3:0, Spanien 2:0, Norwegen 2:1, Georgien 2:0, Zypern 3:0), doch in der letzten Runde waren die Schotten nur noch Zuschauer – da brachte ein Sieg der Spanier über Norwegen das Ticket.

Es war ein Spanier, der das Spiel der Schotten nach dem 0:2 scharf kritisierte. „Diese Art, wie sie Fußball spielen, ist für mich Müll. Immer auf Zeit spielen, provozieren, sich fallen lassen – das ist für mich kein Fußball“, sagte Rodri. Die Schotten lieben ihre Mannschaft nicht nur, aber gerade wegen dieses Spiels. Und wenn der richtige Moment im Spiel gekommen ist, dann schalten die Schotten um und greifen aus einer extremen Ruhe heraus plötzlich gnadenlos an. Dass Clarke aus einer sicheren Abwehr heraus agieren lässt, zeigt schon die Tatsache, dass er zehn Verteidiger in seinen 26 Spieler umfassenden Kader berufen hat. Die Schotten sind nicht zu unterschätzen, wie auch die letzten Zeilen ihrer Hymne zeigen: Als sie den stolzen Edward nach Hause schickten – „Tae think again“, um noch einmal nachzudenken.