Der amtierende Europameister hätte vor dem letzten Qualifikationsspiel gegen die Ukraine nicht zittern müssen. Denn rückblickend betrachtet war im Vorhinein klar: Den für die Quali notwendigen Punkt haben die Italiener schon in der Tasche – schließlich fand das Entscheidungsspiel in der BayArena von Leverkusen statt. Und die wurde unter Double-Gewinner Xabi Alonso zur Festung ausgebaut. Dazu passt, dass – wann sonst – in der Nachspielzeit eine Entscheidung zugunsten des Favoriten ausfiel. Schiri Jesus Gil Manzano beurteilte ein mögliches Elfmeterfoul im Strafraum der Squadra Azzurra in der 93. Minute ohne VAR-Überprüfung als nicht strafstoßwürdig. Die Partie endete 0:0, die Italiener qualifizierten sich damit für die Euro in Deutschland und erhielten die Chance zur Titelverteidigung.
Und zur Wiedergutmachung der Schmach von 2022, als der vierfache Weltmeister in der Quali für die WM in Katar im Play-off blamabel an Nordmazedonien scheiterte. Der Trainer damals: EM-Hero Roberto Mancini. Das vorzeitige Scheitern mochte die leidgeprüfte Fan-Seele noch verkraften, nicht aber Mancinis Kündigung per Mail im August 2023, verbunden mit dessen Wechsel auf den Millionen Dollar schweren Teamchefposten von Saudi-Arabien.
Drei Wochen vor dem vierten Quali-Spiel für die Euro in Deutschland stand Italien ohne Teamchef da. Verbandspräsident Gabriele Gravina handelte schnell und verpflichtete Luciano Spalletti, der sich nach dem Titelgewinn mit Neapel eigentlich ein Sabbat-Jahr genehmigen wollte. Der 65-Jährige machte, wofür er geholt wurde und brachte Italien zum elften Mal zu einer Euro. Wenn auch mit viel Krampf. Spalletti fand noch nicht das richtige System und die richtige Stammformation. Die stärkste Fraktion im 26-Mann-Kader bildet eine fünfköpfige Abordnung von Meister Inter Mailand. Drei davon haben große Chancen auf die Startelf, die drei Spieler mit dem höchsten Marktwert: Linksverteidiger Federico Dimarco (Marktwert 50 Millionen Euro), Innenverteidiger Alessandro Bastoni (70 Mio.) und Kapitän Nicolo Barella (MW 80 Mio.).
Auf der Torwartposition sind die Italiener mit Gianluigi Donnarumma (Paris St. Germain) bestens besetzt. Größtes Manko im Kader ist hingegen das Fehlen eines Top-Stürmers. Ein Thema, das aber nicht unbedingt ein neues ist, wie ein Blick auf die ewige Team-Torschützenliste zeigt. Diese führt mit Luigi Riva ein Star der 60er- und 70er-Jahre an. Seine Ausbeute: 35 Tore! Die Schuldigen sind rasch ausgemacht: Die Klubs, die in der Serie A eher ausländischen Knipsern vertrauen als einheimischen Spielern.
Worauf das Nationalteam vertraut, ist der „Geist von 2006“, als sich die Italiener in Deutschland letztmals zum Weltmeister krönte. Das beste Spiel damals: Das 2:0 gegen die Gastgeber im Halbfinale, das im Dortmunder Stadion ausgetragen wurde. Und dieses BVB-Stadion ist es nun, in dem Italien am 15. Juni mit dem Spiel gegen Albanien als großer Außenseiter die Mission Titelverteidigung startet.