Bis 23.59 Uhr hätte Ralf Rangnick am Freitag rein theoretisch Zeit gehabt, um das finale 26-Mann-Aufgebot Österreichs für die Europameisterschaft an die UEFA zu übermitteln. Für die Öffentlichkeit gelöst wurde das Rätsel, welche drei Spieler aus dem Großkader gestrichen werden, schon am Freitagnachmittag vor dem Abflug von Wien in die Schweiz, wo das ÖFB-Team am Samstag in St. Gallen auf die Eidgenossen trifft. Enttäuschen musste der Teamchef Tobias Lawal (LASK), Thierno Ballo (WAC) und Stefan Lainer (Mönchengladbach). „Es ist eine Entscheidung, die mir nicht leichtgefallen ist. Mir war es wichtig, allen drei Spielern in Einzelgesprächen meine Beweggründe zu erklären. Das habe ich nach dem Abschlusstraining gemacht“, sagt Rangnick.

Lawal ereilt das Aus für die EM an seinem 24. Geburtstag. Der LASK-Goalie verpasst sein erstes Großereignis, obwohl mit Alexander Schlager die etatmäßige Nummer eins nun fix ausfällt. Die ÖFB-Betreuer setzten lieber auf die Routine von Heinz Lindner. Im jungen Alterssegment wählten sie trotz seiner nicht gerade bestechenden Frühjahrsform Niklas Hedl von Rapid. Stünde Stefan Lainer im Kader, wäre es ein wahres EM-Märchen gewesen. Noch im vergangenen Herbst stand angesichts seiner Lymphknotenkrebserkrankung alleine die Gesundheit des Routiniers im Mittelpunkt. Der Salzburger kämpfte sich zurück auf den Platz – erst bei Mönchengladbach, danach im Nationalteam. Die ursprüngliche Idee war, ihn als erfahrene Rechtsverteidiger-Alternative zu Stefan Posch mitzunehmen. Hier bekommt mit Flavius Daniliuc die jüngere Variante den Vorzug. Lainer verpasst damit übrigens die theoretische Chance auf sein zweites EM-Tor.

Thierno Ballo war die Überraschung im Großkader

Thierno Ballo, der Offensivspieler des WAC, war die Überraschung im Großkader. Geht man nach den Vorschusslorbeeren in der Jugend, holt der frühere Chelsea-Youngster im Alter von 22 Jahren nach, was manche ihm schon früher zugetraut haben. Für den WAC netzte er in der Bundesliga zwölfmal. Tempo, Dynamik und Dribbelstärke sprechen dafür, dass dies nicht seine letzte Nationalteam-Möglichkeit war. Die ÖFB-Chance steigt bestimmt, wenn er sich auch bei einem sportlich höher einzuschätzenden Arbeitgeber durchsetzen sollte.

Ralf Rangnick
Ralf Rangnick © APA

Die Tür zurück ins Nationalteam bleibt ohnehin nicht verschlossen, gerade für jüngere Akteure wie Lawal und Ballo. Aber auch ältere Kandidaten können sich bei entsprechender Leistung stets aufs Neue aufdrängen. Rangnick verweist auf das Beispiel Gernot Trauner: „Bei den letzten Lehrgängen war Gernot aus Verletzungsgründen nicht dabei, jetzt ist er trotzdem bei der Euro.“ In der Schweiz wird der Feyenoord-Legionär sein erstes Länderspiel seit März 2023 bestreiten. Ebenfalls bereits verraten hat der Teamchef, dass Heinz Lindner in seiner langjährigen Wahlheimat im Tor stehen und Philipp Lienhart neben Trauner in der Innenverteidigung agieren wird. Der Freiburg-Legionär erlitt im Training eine Platzwunde, die seinen Einsatz jedoch nicht gefährden soll. Marcel Sabitzer wird indes weiterhin geschont. Alleine deshalb kann man diese 90 Minuten nicht als klassisches Einspielen für den EM-Auftakt einordnen.

Nicht die Startelf, die gegen Frankreich spielt

„Es wird nicht nur wegen Marcel mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht die Startelf sein, die gegen Frankreich spielt“, kündigt Rangnick an, „wir werden dem einen oder anderen Spieler die Möglichkeit geben, Spielpraxis zu sammeln und in den Rhythmus zu kommen.“ Rangnicks Ziel war es, dass jeder Feldspieler vor dem Turnierstart zumindest ein paar Einsatzminuten ergattert. Gegen Serbien noch nicht zum Einsatz gekommen sind Flavius Daniliuc, Phillipp Mwene, Florian Kainz und Matthias Seidl. Von den Stammkräften saßen gegen Serbien Mwene, Konrad Laimer und Michael Gregoritsch zu Beginn auf der Bank. Es wäre nicht verwunderlich, wenn sie die Hymne diesmal auf dem Feld hören.

Ein spannender Nebenaspekt: Bei einem Sieg winkt ein Eintrag in die Geschichtsbücher. Gelingt der siebente Streich, würde die ÖFB-Elf nämlich einen Rekord einstellen. Bislang hat Österreich in der Länderspielgeschichte zweimal sieben Matches in Folge gewonnen. Erstmals 1933/34, das zweite Mal ist noch gar nicht so lange her. 2017 und 2018 teilten sich die Teamchefs Marcel Koller und Franco Foda die Bestmarke. „Dieser Rekord ist nicht wichtig“, findet Rangnick, „aber selbst wenn wir gewinnen: Richtig los geht es am 17. Juni gegen Frankreich. Da müssen wir voll da sein.“