Die Geschichte der Frauenfußball-Weltmeisterschaft 2023 ist noch nicht fertig erzählt, aber 56 von 64 Partien sind absolviert, sie förderten bemerkenswerte wie auch überraschende Erkenntnisse zutage. Die bedeutsamste: Die Welt ist im Frauenfußball enger zusammengerückt.
Teilnehmer. Nach dem Achtelfinale lässt sich festhalten, dass sich die Aufstockung des Feldes von 24 auf 32 Nationen bewährt hat. Das erweiterte Spektrum der Teilnehmer wirkte sich weitgehend positiv aus, nicht nur die unterschiedlichen Herangehensweisen der einzelnen Teams betreffend, sondern auch hinsichtlich des Spielniveaus. War sogar 2019 noch bisweilen moniert worden, 24 Teams wären zu viel, so führten die Darbietungen der meisten Auswahlen derlei hämische Kommentare ad absurdum, ganz abgesehen von der durchwegs großartigen Stimmung, die vermittelt wurde.
Zuschauer. Das weltweite Interesse ist beachtlich, die Stadien in den zuvor nicht gerade als fußballverrückt eingestuften Gebieten der südlichen Hemisphäre sind bestens ausgelastet. Die Zuschauerzahlen liegen weit jenseits der Erwartungen. Es gab 13 Matches mit mehr als 40.000 Besucherinnen. Im Schnitt waren über 25.000 Live-Gäste zu verzeichnen, die internationalen TV-Quoten sorgen für neue Bestmarken. Auch in Österreich ist die Aufmerksamkeit im Verlauf des Turniers signifikant gestiegen. Die Achtelfinalpartie zwischen den USA und Schweden lockte im ORF bis zu 210.000 Menschen vor die heimischen Bildschirme.
Konkurrenzfähigkeit. Im Frauenfußball kam bei den bisherigen Weltmeisterschaften (die erste ging 1991 über die Bühne) überwiegend eine relativ einfache Rechnung zur Anwendung: USA plus Deutschland plus Japan plus Europa. Diese Formel greift nicht mehr. Das Viertelfinale der WM 2019 in Frankreich war abgesehen von den Weltmeisterinnen aus den USA ein rein europäisches. Vier Jahre später stellen die Europäerinnen mit fünf Teams zwar nach wie vor die Mehrheit, aber mit den Amerikanerinnen und den Deutschen fehlen inzwischen die Top zwei der FIFA-Weltrangliste. Kolumbien ist der Überraschungsgast schlechthin. Die von auffällig vielen Fans begleiteten Südamerikanerinnen haben Deutschland aus dem Bewerb geworfen.
Überraschungen. Das Turnier ist das an Sensationen bisher mit Abstand reichhaltigste. Die Vormachtstellung der USA ist gebrochen und das ebenfalls in den engsten Titelkreis gehobene Deutschland gescheitert. Letztere sind wohl auch an ihrem Hochmut gescheitert, was im eigenen Land medial durchaus angeklungen ist. Positiv überrascht haben nicht nur die Kolumbianerinnen, sondern auch die Teams aus Afrika. Südafrika demonstrierte enorme Spielfreude, Nigeria drängte Europameister England im Achtelfinale an den Rand einer Niederlage.
Favoritinnen. Anhand der bisher gezeigten Darbietungen ist vor allem ein Team über alle anderen zu stellen. Die Japanerinnen präsentierten sich in allen Partien in Bestform und lieferten nicht nur in taktischer und spielerischer Hinsicht jedes Mal ein Schauspiel, sondern demonstrierten dabei auch enorme Flexibilität. Gegen Spanien reichten 20 Prozent Ballbesitz für einen 4:0-Erfolg, gegen Norwegen kamen die Töchter Nippons mit 60 Prozent Spielanteil zu einem sicheren 3:1-Sieg. Mit Frankreich ist aber natürlich ebenso zu rechnen wie mit den Niederlanden und den Spanierinnen. Gastgeber Australien darf nicht außer Acht gelassen werden, während sich England gewaltig steigern muss, um in den Titelkampf einzugreifen.
Niveau. Die Daten werden natürlich erst geraume Zeit nach dem Turnier ausgewertet, aber schon jetzt ist davon auszugehen, dass sich, wie schon 2019, die Spielgeschwindigkeit erhöht haben wird. In nicht wenigen Partien wurde ein ansehnlicher Kombinationsfußball geboten, ganz abgesehen von den weitaus häufiger aufgetretenen Spannungsmomenten. Auch auf taktischer Ebene hat sich der Frauenfußball rasant weiterentwickelt, und selbst krasse Außenseiterteams beschränken sich nicht mehr ausschließlich auf die Defensive.