Im Tiroler Fußballverband hat man bereits vor fünf, sechs Jahren darauf verzichtet, bei den jüngsten Fußballerinnen und Fußballern Tabellen zu führen. Die Spielform "Funino", also ein Fußballspiel Drei gegen Drei mit zwei Toren pro Team und ohne Torhüter, wurde dort schon vor einiger Zeit praktiziert. "Wir haben bei Vorträgen, etwa vom belgischen Fußballverband, gehört, wie solche Kleinspielformen gelobt werden", sagt Arno Bucher. Der Vizepräsident des Tiroler Fußballverbandes war vor zwei Jahren Teil jener Arbeitsgruppe des Österreichischen Fußball-Bundes (ÖFB), die sich einer Reform für den Kinderfußball angenommen hat.
Herausgekommen ist etwas, was lange Zeit eher unbemerkt blieb, aber dank eines unbedachten und für manche sehr populistischen Sagers von ÖFB-Teamchef Ralf Rangnick plötzlich omnipräsent ist. Damit hat der Deutsche unbewusst eine Diskussion über die Fußballausbildung in Österreich losgetreten.
Was hierzulande Usus ist: Zur Saison 2022/23 wurden die Spielformen in Österreich umgestellt, hin zu altersspezifischen und kindgerechten Möglichkeiten, den Volkssport Nummer eins auszuüben. Mittels modernster Technik – Spieler verschiedenster Altersgruppen wurden in Kooperation mit dem Universitätssportzentrum Schmelz mehrere Tage genau analysiert – hatte man "eine umfangreiche Datenlage bezüglich Ballkontakten, Abschlüssen und vielem mehr", sagt Bucher.
Dass seit einem Jahr nun bis zu den Zwölfjährigen keine Tabellen mehr geführt werden und bei Toren – zumindest offiziell – nicht mitgezählt wird, sehen viele Beobachter als falschen Weg. Die Kinder würden verweichlicht, nicht auf das spätere Leben vorbereitet. Andere aber freut es, dass den Kindern so der Ergebnisdruck genommen wird, der Spaß im Vordergrund steht. "Tabellen an sich sind für die Kinder nicht das große Thema", sagt Sportpsychologe Thomas Kayer. "Kinder wissen genau, wer wie viele Tore geschossen hat und wie ein Spiel ausgegangen ist."
Viel mehr sieht Kayer, Obmann des Vereins für Sportpsychologie Steiermark, Vereine, Trainer und Eltern als Druckmacher. "Kinder wollen den Wettkampf ja. Das ist auch wichtig und gut. Wenn aber etwa mit Blick auf die Tabelle nur die Besten spielen, dann fallen viele Kinder, die gerne Fußball spielen, aber noch nicht das richtige Niveau haben, durch. Da ist die Drop-out-Quote relativ hoch. Psychologisch gesehen ist es also sicher gut, dass die Tabelle ausgesetzt wird. Für Trainer und Eltern, die dadurch zu viel Druck ausüben."
Thomas Raffl, bei Sturm verantwortlich für die U8 bis U14 und selbst U14-Trainer, kann der Reform des ÖFB viel abgewinnen. Gar nicht so sehr, weil es keine Tabellen mehr gibt, sondern weil den Trainern durch die Reform beigebracht wurde, was es braucht. "Dadurch, dass in kleineren Formen gespielt wird, wird auch in kleineren Formen trainiert. Das macht die Kinder besser", sagt Raffl. "Es geht um Spielerlebnisse und Erfahrungen." Zumal bei Siegen oft die Leistung schlecht war, bei Niederlagen aber sehr viel richtig gemacht wurde. "Im Kinderfußball darf man nicht nur das Ergebnis sehen." Bei Sturm werden Spiele der U14 nach Videoanalysen über Werte – Torschüsse, Pässe des Gegners bis zum Zweikampf – definiert und nicht über Ergebnisse. Bei den Kleineren wird geschaut, ob die Ausbildungsinhalte entsprechend umgesetzt werden. Bei der U8 geht es um Eins-gegen-eins-Duelle, das Suchen und Bespielen der Tiefe – wenn möglich, eine positive Reaktion nach Ballverlust. "Wenn das passt, ist der Endstand egal", sagt Raffl. "Wenn Kinder kindgerecht ausgebildet werden, dann kommt das Ergebnis später automatisch."