Fußball bringt die Leute zusammen, aber nicht die Deutschen und die Österreicher. Da bricht hierzulande etwas auf, das rational kaum zu erklären ist, ein beinahe pathologischer, keine Vorurteile scheuender Piefke-Hass. Beim Fußball hilft der gelernte Österreicher zu allen anderen, selbst zu nationalistischen Holzköpfen und kriegerischen Höhlenbewohnern, sobald sie gegen Deutschland spielen. Man kann das mit der Überheblichkeit der Germanen erklären, mit einem jahrzehntelang gepflegten hässlichen, aber erfolgreichen Spielstil, welcher von der ausgeprägten Deutschlandphobie früherer Sportreporter genüsslich befeuert worden ist. Gepaart mit der typisch österreichischen Melange aus Größenwahn und Minderwertigkeitskomplex kulminierte dieses nachbarschaftliche Trauma in einem nur bei uns bekannten weltgeschichtlichen Ereignis: Cordoba.
Das im Grunde bedeutungslose 3:2 von 1978 wird, wie der Fußballer sagt, hochsterilisiert. Am Ende fuhren damals beide Teams nach Hause, aber Österreich hatte den regierenden Weltmeister gedögelt und sich für eine im Vorfeld laut tönende Arroganz gerächt. Königgrätz, Kriegsschuld, die Schlappe von Basel. Mit einem Spiel waren alle Demütigungen gerächt. Für das heimische Selbstbewusstsein ein Meilenstein, sportgeschichtlich völlig unbedeutend. Heute ist Cordoba ziemlich retro. Wenn der heilige, meist angekränkelte Goleador Hans himself sagt, dass es in Brentford, wo Österreichs Damen heute gegen ihre deutschen Kolleginnen antreten, das nächste Granada spielen wird, wirkt das ein wenig an den geweißten Haaren herbeigezogen.
Hätten wir nicht die trennende gemeinsame Sprache, würden wir uns mit Deutschland nicht so viel vergleichen. Die Unterschiede sind marginal und trotzdem riesig. In Piefkinisien sagt man zum Beispiel Schullandheim, während es bei uns Landschulheim heißt. Grüne Bohnen statt Fisolen, Blumenkohl für Karfiol, Mörchen statt Karotten. Die Deutschen leben, um zu arbeiten, während die Österreicher arbeiten, um zu leben. Wenn ich meine schon lange in Wien lebende deutsche Freundin frage, was der Unterschied ist, sagt sie, die Österreicher haben alle Swimmingpools. Das Wetter ist in Deutschland schlechter, ebenso das Essen und der Wein. Österreicher sind genussfähiger. Das Selbstverständnis ist ein anderes. Wir haben den Austropop, die Germanen die Neue Deutsche Welle. In Deutschland wird alles ernst genommen, in Österreich nichts – nur die einseitige Rivalität mit dem großen Nachbarn, der so selbstlos ist, diese nicht einmal zu ignorieren, sich lieber mit Frankreich oder Holland matcht.
Hierzulande fehlt ein aufgeklärtes Bürgertum, wie es in jeder deutschen Kleinstadt wohnt. Bei uns stammt man entweder vom Adel oder von Geistlichen ab, beides nicht ganz legal, oder die Vorfahren waren Beamte, Bauern, Gesinde; Tschechen, Polen oder Jugoslawen. Der Deutsche will der Welt alles erklären, dem Österreicher ist das eher wurscht. Ja eh. Er wähnt sich im Nabel der Welt, der Rest ist Arsch. Wenn man Eltern zuhört, wie sie mit ihren Kindern sprechen, erfährt man von Deutschen Zusammenhänge, Gründe, Ursachen, während die typisch österreichischen Altvorderen nur sagen: „Geh bitte, schleich dich. Reiß o.“
Der monolithische Österreicher ist von Natur aus schlampig, der Deutsche pünktlich und genau. Hierzulande reicht es, eine Position zu ergattern, um als Primar, Hofrat oder Proletenprälat ein gutes und gemütliches Leben im wohlgeordneten Proporz zu führen, in Deutschland ist damit nichts geschafft. Ein Land der Schaffer, aber auch der Besserwisser und Rechthaber, deren Angewohnheit, mit Handtüchern Liegen zu reservieren, sie auf der ganzen Welt ungemein beliebt gemacht hat? Nein, denn das ist alles gar nicht wahr. In Wirklichkeit rasten sich die Deutschen auf ihrem guten Ruf aus. Von wegen Pünktlichkeit, Genauigkeit, Organisation. Zur Hochzeit von Corona hat die Kontrolle an Österreichs Grenzen funktioniert. Nicht ganz so gut wie in Algerien, wo jeder Einreisende im Schnellverfahren getestet worden ist, aber akzeptabel. Und in Deutschland? Stundenlanges Anstehen! Chaos. Flugverspätungen. Auch Züge, die bei uns meist pünktlich sind, sind in Teutonia ständig in Verzug. Selbst meine deutsche Freundin sagt, das Land funktioniert nicht mehr. Entdeckung der Schlampigkeit? Oder ist seit der Wiedervereinigung eine zum Lethargischen neigende Ost-Wurstigkeit eingesickert? Jedenfalls ist Deutschland nicht mehr das, was es einmal vorgegeben hat zu sein. Der Österreicher tarnt mit Gemütlichkeit seinen Fleiß, beim Deutschen ist es umgekehrt.
Wenn also Österreichs Frauen in Brentford gewinnen sollten, ist das kein Grund, gleich narrisch zu werden. Die Welt ist schon so verrückt genug, dass man sie oft nur mit einem editierten Fingerhut Wein erträgt. Aber Grund für hochgekochten Nationalstolz gibt es nicht. Diese Zeiten sind vorbei. Oder wie der große Fußballphilosoph Hans-Hubert Vogts, der heute leider nicht mitspielt, einmal sagte: „Hass gehört nicht ins Stadion. Solche Gefühle sollte man daheim mit seiner Frau im Wohnzimmer ausleben.“
Die Deutschen, im Frauenfußball zweifacher Weltmeister und achtmaliger Europameister, würden einen Sieg gegen die Unsrigen vermutlich nicht einmal bemerken. Wir dagegen schon. Deshalb sind wir in Sachen Feminismus auch nicht weiter, aber es gäbe einen Grund zum Feiern, und einen solchen haben wir noch nie ausgelassen. Und wenn wir abstinken, es deutsche Haue setzt? Dann streichen wir die Töchter aus der Hymne und feiern trotzdem ausgelassen, weil was die Germanen von uns lernen können, ist die grenzenlose, bis zur Selbstverleugnung gehende Fähigkeit zur Ironie. Natürlich haben wir wie immer keine Chance, sind aber wild entschlossen, sie zu nutzen.
Franzobel, 1967 in Vöcklabruck geboren, ist Schriftsteller und Sportfan.