Es ist das Beste, das diese Europameisterschaft zu bieten hatte. Mit Italien und England treffen heute im Endspiel jene zwei Teams aufeinander, die sich anhand dessen, was die Auslosung anbot, die finale Ehre am meisten verdient haben. Beide blieben ungeschlagen, nur je ein Match wurde nicht (nach 90 bzw. 120 Minuten) gewonnen. Wer siegt? Einiges spricht für Italien, aber auch die Engländer verfügen über Pluspunkte. Ein Vergleich.
Italien - England 1:0
Der Weg ins Finale. Italien hat die Gruppe mit der Schweiz, Wales und der Türkei beherrscht und wurde in der K. o.-Phase voll gefordert. Die Azzurri mussten nach dem der Squadra alles abverlangenden Match gegen Österreich mit Belgien und Spanien zwei Titelanwärter bezwingen, sie sind gestählt. England hatte – ungeachtet der Überwindung des Deutschland-Traumas – den wesentlich leichteren Pfad zu beschreiten. Das bringt den Italienern den ersten Punkt ein.
1:1
Heimvorteil. Die englischen Fans werden im Wembley-Stadion ihr Team, wie schon in den Matches zuvor, enorm beflügeln. Aufgrund der zahlenmäßigen Stärke der italienischen Community in London ist zwar auch mit vielen Tifosi zu rechnen, aber gegen die Stimmgewalt der Einheimischen werden die Azzurri-Anhänger keine Chance haben. Ausgleich.
2:1
Elferschießen. Die Engländer sind dieser bei den Inselkickern äußerst unbeliebten Entscheidungsfindung im Turnier bisher erfolgreich aus dem Weg gegangen. Sie sollten die Penalty-Option auch im Finale tunlichst vermeiden. Allerdings spräche das Gesetz der Serie für England, denn noch nie wurde ein Team mit zwei Elferschießen Europameister. Trotzdem ist den auf diese Weise gegen Spanien erfolgreichen Italienern hier der Vorzug zu geben.
2:2
Die Kraftreserven. England hatte zwar einen Tag weniger Zeit zur Erholung, verzeichnete allerdings einen wesentlich geringeren Energieverbrauch als Italien. Dies brachten die „Three Lions“ in der Verlängerung gegen Dänemark deutlich zum Ausdruck. Die Italiener konnten gegen Spanien den Kräfteverschleiß vor der Öffentlichkeit nicht mehr verheimlichen.
2:3
Die Taktik. Die Hingabe, mit der Italien das Offensivspiel pflegte, ließ alle Welt staunen. Gegen Spanien wäre der Schuss beinahe nach hinten losgegangen, am Ende galt das Augenmerk der einstigen Devise, hinten dicht zu halten. Die von Gareth Southgate blendend vorbereiteten Engländer gingen nach vorsichtiger Einleitung zum Angriff über, wenn es notwendig war. Das machte sich bezahlt und kann auch im Finale Trumpf werden. Erstmals geht England in Front.
3:4
Der Zusammenhalt. Es wäre, frei nach britischem Muster, unfair, auf dem Gebiet der Leidenschaft der Berufsausübung während des Turniers einer der beiden Mannschaften den Vorzug zu geben. Die Italiener wandelten ihre Begeisterung eins zu eins in Spielfreude um. Die Engländer bildeten punkto Spielverständnis auf jeder Ebene ein ineinandergreifendes, harmonisches Gefüge. Eine Voraussetzung für den Finaleinzug beider Teams war das Sichtbarmachen einer Mannschaft als soziale Gruppe. Unentschieden.
4:5
Die Trainer.Roberto Mancini hat aus dem ins Elend einer WM-Absenz abgestürzten Stolz Italiens eine fast unbesiegbare Einheit geformt und war bei diesem Turnier unangreifbar. Sein Gegenüber Gareth Southgate musste sich aufgrund seiner eher defensiven Ausrichtung in der Gruppenphase Kritik gefallen lassen, hat aber mit seiner konsequenten Linie inzwischen auch bei den Lästermäulern die Kurve gekriegt. Beide Trainer ordnen dem Teamgeist alles unter, daher endet diese Partie remis.
Endstand 5:5
Die Spielstärke. Im Angriff bietet England Spieler mit Torjäger-Qualitäten (Kane, Sterling) auf. Bei den Italienern herrscht größere Ausgewogenheit. Beinahe jeder kann aus allen Lagen treffen. Im Mittelfeld verfügt Italien über spielerische und läuferische Vorteile, während die Abwehrreihen auf beiden Seiten blendend agieren. Das Fehlen von Leonardo Spinazzola könnte England durch Luke Shaw einen Vorsprung verschaffen. Das Torhüter-Duell entscheidet Gianluigi Donnarumma gegenüber Jordan Pickford für sich. Punkt für Italien.