England darf vor heimischer Kulisse die erste große Trophäe seit der legendären WM-Titel 1966 in Angriff nehmen. Das selbst ernannte Mutterland des Fußballs feierte nach dem 2:1 nach Verlängerung gegen Dänemark, als ob der Pokal schon gewonnen wäre. Am Sonntag baut sich erneut im Wembley-Stadion Italien als Finalgegner auf. Einen Schönheitsfehler hatte der Erfolg gegen die Dänen: Der Elfer zum Siegestor war nicht nur bei den Skandinaviern umstritten.
Gareth Southgate war mehr als eine Stunde nach dem Abpfiff noch immer euphorisiert. "Ich habe Wembley noch nie so erlebt. Das mit der Nation zu teilen, ist sehr besonders", schwärmte Englands Nationaltrainer nach dem ersten Endspiel-Einzug für die "Three Lions" bei einem wichtigen Turnier seit 55 Jahren. Er sprach von einer "fantastischen Nacht". Für den ehemaligen Teamverteidiger ist es auch persönlich eine Genugtuung. Bei der EURO 1996 schied England im Halbfinale im Wembley gegen Deutschland im Elfmeterschießen aus. Southgate vergab dabei entscheidend.
Gassenhauer auf der Insel
Knapp 60.000 Fans im Wembley stimmten am Dienstagabend nach Abpfiff gemeinsam mit der Mannschaft ihre Lieder an. "Football's coming home" wird bis Sonntag der Gassenhauer auf der Insel bleiben. Bei der WM vor drei Jahren scheiterten die Engländer im Halbfinale. Dieses Mal soll nicht wieder kurz vor dem Ziel Schluss sein. Schon im großen Jubel über den Sieg richteten Kapitän Harry Kane und seine Teamkollegen den Blick nach vorne.
"Was für eine Gelegenheit, ein EM-Finale zu Hause", sagte Kane, der per Elfer-Nachschuss in der 104. Minute die Entscheidung herbeiführte. Der in der Gruppenphase noch leer ausgegangene Tottenham-Stürmer hält nun bei vier Turniertoren und hat damit noch Chancen auf die EM-Torjägerkrone. Cristiano Ronaldo liegt mit fünf Treffern weiter voran. Mit nun zehn Toren bei einer WM oder EM zog Kane bereits mit Englands Rekordhalter Gary Lineker gleich.
Erster Freistoßtreffer
Den Auftakt in die spektakuläre Viertelstunde vor der Pause machte Dänemarks Mikkel Damsgaard (30.), der mit einem herrlichen Freistoß Englands Torhüter Jordan Pickford erstmals in diesem Turnier bezwang. Es war der erste Freistoßtreffer dieser EURO. Dänemarks Kapitän Simon Kjaer (39.) lenkte dann eine Hereingabe ins eigene Tor. England dominierte in der zweiten Halbzeit, Treffer gelang vorerst aber keiner. Das 2:1 kam verdient, aber glücklich zustande.
Dass der niederländische Referee Danny Makkelie bei einer leichten Berührung von Joakim Maehle am bereits abflugbereiten Raheem Sterling auf Elfmeter entschied, war hart. Für viele umso verwunderlicher war es, dass auch der VAR nicht eingriff. Dieser kann dies den Regeln entsprechend nur bei einer markanten Fehlentscheidung tun. Makkelie musste seinen Pfiff somit nicht einmal überprüfen. Englands Ex-Teamstürmer Alan Shearer sagte in der BBC, er wäre "ziemlich verärgert, wenn so ein Elfer gegen England gegeben würde".
Große Zweifel an Elfmeter
Der frühere Arsenal-Trainer Arsene Wenger sah "keinen Elfmeter. Ich weiß nicht, warum niemand dem Referee gesagt hat, dass er sich das noch einmal anschauen soll." Der bei der EM ebenfalls als TV-Experte arbeitende Star-Coach Jose Mourinho hielt fest: "Auf diesem Niveau, einem Halbfinale einer EM, verstehe ich die Entscheidung nicht wirklich. Ich glaub nicht, dass der Schiedsrichter gut schlafen wird."
Zumindest ein Engländer wusste, dass der Elfer gerecht war: Raheem Sterling selbst. "Ich bin in den Strafraum hinein und der hat das Bein ausgestreckt und meines erwischt. Es war ein klarer Elfer", sagte der Flügelstürmer von Manchester City. Southgate wollte die Szene nicht bewerten. "Wenn man das gesamte Spiel betrachtet, haben wir das verdient", meinte er nur. Dänemarks Trainer Kasper Hjulmand kritisierte die Entscheidung deutlich. "Es ist hart für mich, darüber zu sprechen. Vielleicht kann ich das in einigen Tagen besser sagen", sagte der 49-Jährige.
Der größte Test
Southgate stimmte sein Team und die Fans schon einmal auf eine schwierige Aufgabe gegen die Squadra Azzurra ein, die sich mit 4:2 im Elfmeterschießen gegen Spanien durchgesetzt hatte und bisher eine überzeugende EM spielt. "Wir haben ihre Fortschritte in den vergangenen Jahren eng verfolgt. Sie spielen mit sehr viel Energie, es ist schwierig, gegen sie zu treffen", sagte Englands Teamchef. "Das ist der größte Test, den wir haben könnten. Aber es ist wundervoll, diese Gelegenheit zu bekommen."