Es fällt schwer, es so zu sagen, aber für mich steht fest: So groß der Schock für die Dänen gleich im ersten Spiel war, so schwierig die Situation rund um den Kollaps von Spielmacher Christian Eriksen am Spielfeld war – für die Mannschaft war der Vorfall extrem wichtig. Denn er hat das Team regelrecht zusammengeschweißt, eine „Jetzt-erst-Recht“-Mentalität erzeugt. Und genau solche gruppendynamischen Prozesse sind im Fußball oft extrem wichtig.
Der Verlauf des Turniers war von zwei Niederlagen zu Beginn geprägt. Interessant: In beiden Spielen hatten die Dänen den höheren „xG-Faktor“, oder anders gesagt mehr Situationen, in denen ein Tor zu erwarten ist, als die Gegner. Und das heißt, dass sie im Prinzip an der eigenen Chancenverwertung gescheitert sind. Aber dann kam alles ins Rollen, es folgte der überzeugende Sieg gegen die Russen, wo sie dann alle Chancen genutzt haben. Und das taten sie auch im Achtelfinale beim klaren 4:0 gegen Wales, der ebenso ungefährdet war. Im Viertelfinale gegen die Tschechen war es dann aber ein Spiel auf des Messers Schneide, auch wenn es zu Beginn klar aussah.
Ich habe schon vor der Euro gesagt, dass ein Überraschungsteam im Halbfinale stehen wird – und wenn man sich die vier Teams anschaut, dann sind das die Dänen. Allerdings hatten viele Insider das Team von Kasper Hjulmand auf der Rechnung, denn: Sie verfügen über Spieler, die in internationalen Topklubs wichtige Rollen innehaben. Nicht vergessen: Andreas Christensen ist Champions-League-Sieger mit Chelsea. Und deshalb war es sogar verschmerzbar, dass Eriksen, der fit und in Form zu den Besten auf seiner Position zählt, nicht mehr dabei ist. Aber: Thomas Delaney (Dortmund), Pierre-Emile Højbjerg (Tottenham) und eben Christensen sind nachgerückt. Sie mögen nicht die großartigen Kreativspieler sein, aber ihr Positionsspiel ist sehr gut.
Grundordnung. Dänemark ist mit einem 4-3-3 ins Turnier gestartet, hat dann auf Dreierkette und 3-4-3 umgestellt; ohne aber stringent dabei zu bleiben. Das geht, weil Christensen sehr flexibel agiert, daher können die Dänen ihr Spiel schnell adaptieren und umstellen, ohne dass man das nach außen merkt. Die taktische Flexibilität zählt zu den größten Stärken. So ließ Hjulmand gegen Wales wie schon im ersten Spiel der EM mit einem 4-3-3 beginnen, im Spiel änderte sich das wieder. Wenn zwischen Dreier- und Viererkette umgestellt wird, dann switcht Christensen einfach schnell in die Sechserposition – und umgekehrt. Imposant ist, dass es auch bei oder nach den Wechseln keine Abstriche der Qualität in Ballbesitz, aber auch nicht im Spiel gegen den Ball gibt. Allerdings kann man das 4-3-3 der Dänen nicht mit dem von Spanien vergleichen. „Danish Dynamite“ ist kompakt, das Mittelfeld überzeugt durch Lauf- und Kampfkraft und nicht durch kreative Passqualität. Die Offensive der Dänen wird deshalb auch eher von den drei Stürmern getragen. .
Spiel mit dem Ball. Dänemark will das Spiel kontrollieren, relativ viele Spieler sind am Spielaufbau beteiligt. Daraus folgt, dass sich wenige Spieler zwischen Mittelfeld- und Abwehrlinie des Gegners positionieren. Das Spiel ist sehr flügellastig, die Außenstürmer Braithwaite und Damsgaard versuchen sich oft in 1:1-Situationen oder werden von den Außenverteidigern Maehle und Stryger hinterlaufen und unterstützt. Spannend bleibt, ob Hjulmand auf Poulsen, der in der Luft richtig gut ist, oder Dolberg, der mit dem Rücken zum Tor glänzt, setzt.
Spiel gegen den Ball. Das Team agiert sehr kompakt, der Stürmer gibt das Pressing vor bzw. leitet es mit einem „Teilungslaufweg“ (durch den Laufweg schränkt er die Passoptionen für den Innenverteidiger in die Tiefe ein) ein. In der Defensive verfügt Dänemark mit Kjaer, Vestergaard und Christensen über drei sehr gute Verteidiger – in der Luft, als auch am Boden. Das erkennt man auch in der Zweikampfstatistik, in der die Dänen, außer gegen Russland, immer besser waren als der Gegner. Und hinten wartet Kasper Schmeichel, der im Tor die Familientradition fortführt, absolut solide agiert. Einzig zum Auftakt gegen Finnland sah er nicht ganz gut aus.
Schlüsselspieler. Ausnahmsweise erwähne ich hier den Teamchef: Kasper Hjulmand hat die fordernde Situation nach dem Eriksen-Vorfall gut gemeistert, viele positive, gruppendynamische Erlebnisse zugelassen. Andreas Christensen, extrem zweikampfstark und intelligent, ist der Defensivstratege und für die Organisation wie auch in der Restverteidigung wichtig. Martin Braithwaite kommt die Rolle zu, 1:1-Duelle zu gewinnen und so neue Situationen und Räume für andere Spieler zu schaffen. Pierre-Emile Højbjerg ist für mich der Anführer am Platz, strahlt immer hohen Siegeswillen aus. Er ist ein typischer „Box-to-Box“-Spieler, aber auch aus der zweiten Reihe torgefährlich.
Philipp Semlic