Man darf es ja zugeben: Für mich haben die Engländer schon vor der EM-Endrunde zum Favoritenkreis gezählt – im Viertelfinale stehen sie schon einmal. Aber wenn man im Detail analysiert, warum das so ist, könnte man enttäuscht sein. Nicht das offensive Feuerwerk war es, die den Erfolg brachte, sondern ganz oben auf Gareth Southgates Liste scheint zu stehen: die Null muss stehen.

Interessant ist in diesem Zusammenhang wieder ein Blick auf die Statistik der „expected goals“, der zu erwartenden Tore: 0,92 waren es bei den „Three Lions“ über alle vier bisherigen Spiele hinweg, also nicht einmal ein Tor pro Spiel. Und: Jeder der bisherigen Gegner hatte einen höheren Wert. Aber die Engländer blieben ohne Gegentor und trafen zumindest einmal. Das ist ein erster, kleiner Anhaltspunkt. Die Annahme vertieft sich, wenn man beachtet, dass England im Schnitt – trotz hoher Ballbesitzrate – nur sechs Mal aufs Tor schießen, also zu wenig Abschlüssen kommen. Sie sind also sehr auf Sicherheit und Stabilität bedacht, gehen nicht ins Risiko. Das sorgt nicht für begeisternden Fußball, aber für erfolgreichen.

Mir persönlich fehlt da aber das Salz in der Suppe. Wenn ich in der Mannschaft Spieler von der Güte eines Phil Foden und anderen habe, dann kommt für meinen Geschmack zu wenig Spektakel. Augenscheinlich ist, dass bei allen Spielen mit englischer Beteiligung Torschüsse Mangelware sind. Gerade 13 waren es im Schnitt von beiden Teams, wenn England dabei war. Zum Vergleich: Österreich hat allein gegen die Ukraine 17 Mal aufs Tor geschossen.

Grundordnung. In der Vorrunde spielten sie ein 4-2-3-1, Southgate ging weg vom 3-4-3, mit dem sie eine sehr gute Qualifikation gespielt haben. Das war natürlich auch den Umständen geschuldet: Harry Maguire war verletzt, Ben Chilwell angeschlagen – beide wären wichtig. Im Achtelfinale gegen Deutschland wurde dann aber zurück zum 3-4-3 gewechselt. Aber ich glaube, dass Southgate das gegen die Deutschen nur gemacht hat, um deren 3-4-3 zu spiegeln. Der Vorteil, wenn man das tut: alle Zuteilungen ergeben sich von selbst und sind stabil. Es gibt keine Probleme, wer wen deckt, wer wann wohin schiebt.
Im 4-2-3-1 agieren die Engländer mit zwei stabilen Sechsern, die als Abfangjäger vor der Abwehr agierten: Declan Rice und Kalvin Phillips. Dazu kommt Mason Mount auf der Zehnerposition, der gegen Tschechien aber durch Jack Grealish ersetzt wurde. Mit ihm wiederum waren die Engländer aus meiner Sicht sogar um einen Tick gefährlicher, weil er etwas Unberechenbares einbringt.

Jetzt wartet die Ukraine – ich bin der Meinung, die Engländer sollten gegen diesen Gegner und auf ihre Stärke vertrauen und wieder ein 3-4-3 spielen. Nicht wegen einer Systemspiegelung, sondern weil sie das Heft in die Hand nehmen und den Gegner dominieren wollen. Die Klasse dafür hätten sie jedenfalls.

Spiel mit dem Ball. Die Engländer bauen in der eigenen Hälfte sehr solide auf, weil viele Spieler beteiligt sind, agieren sie in der eigenen Hälfte kontinuierlich in Überzahl. Im Umkehrschluss heißt das aber natürlich, dass in der vorderen Linie weniger Spieler übrig bleiben und man dort nicht für Überzahlsituationen sorgen kann; der Nachteil eines Systems mit zwei stabilen Sechsern. Das Spiel ist klar darauf ausgelegt, in der Offensive 1:1-Duelle zu gewinnen, um so neue Situationen zu schaffen. Aber genau darin liegt derzeit das Problem. Zwar gäbe es mit Sterling, Foden, Saka, Grealish zwar Spieler, die das können, aber die Mannschaft hat es zu selten geschafft, sie in die Position zu bringen, wo sie das auch tun können. Wenn es gelingt, dann kommt England aber immer zur Torchance. Und die Qualität, aus jeder Chance ein Tor zu machen, haben sie.

Spiel gegen den Ball. Schon im Test gegen Österreich war ersichtlich, dass sich die Engländer im Mitteldrittel kompakt aufstellen. Es gibt wenig Angriffspressing, selten Attacke im vordersten Drittel. Das große Plus der Engländer ist der wieder fitte Abwehrchef Harry Maguire, der wenig Duelle verliert – egal ob am Boden oder in der Luft. Dazu sind beide Sechser sehr lauf- und zweikampfstark. Es gibt in der Arbeit gegen den Ball wenig Schnörkel und eine sehr klare Zuteilung. Man wartet darauf, dass der Gegner den Vertikalball über die erste Linie der Engländer mit Kane auslöst, dann versucht man, dank der physischen Stärke Zugriff zu bekommen.

Schlüsselspieler.Harry Maguire ist als Abwehrchef absoluter Schlüssel in der Defensive. Raheem Sterling obliegt die Rolle des „Korkenziehers“, er muss die erwähnten 1:1-Situationen lösen, um Chancen zu generieren. Und dann ist da Harry Kane, Kapitän und Weltklassestürmer. Er kam bisher zu wenig Schüssen, nur gegen Tschechien war es mehr als einer. Gegen Deutschland saß dieser eine aber schon. Bei seiner Trefferquote wäre es ratsam, ihn öfter ins Spiel zu bringen.