Es kommt oft anders, als man denkt. Und die Schweiz hat eine durchwachsene Vorrunde gespielt, das muss man sagen. Gestartet ist man mit einem 1:1 gegen Wales, auch wenn man das bessere Team war, dem folgte eine klare Niederlage gegen die Italiener, in der Heimat war man gefühlt schon ausgeschieden. Aber es folgte ein verdienter, souveräner Sieg gegen die Türken, es war zugleich das überzeugendste Spiel der Eidgenossen in der Vorrunde.
Und dann kam das Achtelfinale und die packende Partie gegen den Weltmeister. Gegen die Franzosen sind die Schweizer, drücken wir es nüchtern aus, etwas glücklich aufgestiegen. Rein statistisch ausgedrückt lässt sich das auch begründen, man zieht dafür den Faktor an „zu erwartenden Toren“ heran, wir nennen es die „expected goals“, oder kurz: „xg-Faktor“. Er besagt, in wie vielen Situationen man ein Tor erwarten kann. Vergleicht man beide Teams, dann hätte die Schweiz in diesem Achtelfinale 1,8 Tore geschossen, die Franzosen mehr als vier – das Endergebnis des Spiels lautete 3:3.
Bemerkenswert zudem: Die Schweiz hatte in allen vier Spielen bisher eine weit niedrigere Zweikampfquote als der Gegner. Im Schnitt lag sie in der Vorrunde wie auch im Achtelfinale bei 40:60 Prozent. Und das, obwohl sie in der Offensive mit Breel Embolo einen Ausnahmestürmer haben: Denn der gewann im Schnitt 70 Prozent seiner Zweikämpfe, das ist für einen Offensivspieler ein wahrhaft unglaublicher Wert.
Grundsätzlich gilt: Rein von den Namen her sind die Schweizer vielleicht nicht unbedingt der absoluten Weltklasse zuzurechnen, aber sie sind definitiv sehr solide besetzt. Da spielen auf jeder Position Spieler, die in ihren Klubs – ob in Deutschland, England oder auch Italien – wirklich tragende Rollen einnehmen; auf allen Positionen.
Grundordnung. In der Qualifikation für die Euro haben die Schweizer und Vladimir Petkovic ein 3-4-1-2-System entdeckt und gefunden – und so schlecht hat das gar nicht funktioniert. Nach der Niederlage gegen Italien und Wales hat Petkovic das System aber geändert und gegen die Türkei ein 4-2-3-1, dann gegen Frankreich ein 4-4-2 gespielt. Dass das möglich ist, spricht für die Flexibilität der Spieler zum einen. Zum anderen aber auch dafür, dass Petkovic gesehen hat, dass mit dem zuerst praktizierten System nicht viel funktioniert. Er hat daraus die Lehren daraus gezogen – und musste etwas ändern.
Spiel mit dem Ball. In Ballbesitz agieren die Schweizer „flügellastig“, das heißt: sie versuchen, ihre Angriffe über die Flügel zu initiieren und dann Bälle in die Box auf ihre zwei Stürmer zu bringen. Mit Haris Seferovic und Embolo gibt es deren ja zwei, die sich auch gut behaupten. Ballverteiler ist an und für sich Granit Xhaka – er entscheidet, in welche Richtung es geht, er ist auch der Taktgeber für die Spielverlagerungen. Im Viertelfinale ist er gesperrt, ich gehe davon aus, dass Remo Freuler in seine Rolle schlüpfen. wird. Wie das geht, weiß er, denn das tut er bei Atalanta Bergamo auch. Zurück zur Spielanlage: Auch gegen die Franzosen gelangen zwei der drei Tore nach Flanken. Und selbst da hätten die Franzosen an sich Überzahlsituationen in der Verteidigung gehabt, aber zwei gute Flanken, zwei gute Kopfbälle von Seferovic – und der Erfolg war da.
Die zweite Option, wie die Schweizer Tore erzielen können, entsteht nach Ballgewinnen im Zentrum. Dann können die Schweizer nämlich gleich auf zwei Stürmer umschalten, die losstarten. Und das macht es für jede Abwehr schwierig.
Spiel gegen den Ball. Gegen Italien und Wales haben es die Schweizer mit hohem Pressing probiert – aber das hat nicht funktioniert. Sie gerieten immer wieder in Probleme, weil dieses Pressing vom Gegner schnell überspielt worden ist. Die Folge: Gegen die Türken und Franzosen hat sich das Team weiter zurückgezogen und versucht, im Mitteldrittel Ballgewinne zu lukrieren.
Klar aber ist, dass die Schweiz defensiv definitiv in all ihren Spielsystemen Probleme hat. Die Italiener, wie auch die Franzosen, haben das auch offengelegt. Die Italiener haben die Eidgenossen ausgespielt, obwohl diese immer viele Spieler hinter dem Ball hatte. Aber: Just Granit Xhaka ist ein Spieler, der sich über den Ballbesitz definiert und im Defensivverhalten oft ungestüm agiert, Fouls begeht (auch ein Foul zählt übrigens als verlorener Zweikampf). Er fehlt aber wie bekannt gegen die Spanier.
Schlüsselspieler. Ein drittes Mal Granit Xhaka, im Normalfall. Gegen Spanien wird aber, wie erwähnt, Remo Feuler in dessen Rolle schlüpfen müssen, ich denke, dass ihm Denis Zakaria zur Seite gestellt wird. Offensiv bleibt Sherdan Shaqiri ein Schlüssel, er hat alle Freiheiten und strahlt mit seinem linken Fuß nach wie vor Torgefahr aus. Und dann wäre noch Embolo, der für mich die Offensive trägt, auch wenn Seferovic gegen Frankreich getroffen hat.
Philipp Semlic