Und jetzt, Frank de Boer? Nach dem sang- und klanglosen Ausscheiden der Niederlande im Achtelfinale der Fußball-EM gegen Tschechien war der Bondscoach mit unzähligen unangenehmen Fragen konfrontiert. Warum er so stoisch am 5-3-2-System festgehalten habe? Warum die späte Anreise nach Budapest? Welche Fehler er bei sich selbst suche? Und was er vom anstehenden Gespräch mit dem Verband erwarte?
In der Kurzfristigkeit, eine knappe Stunde nach dem bitteren 0:2 gegen den Außenseiter Tschechien, blieb De Boer fast alle Antworten auf diese Fragen schuldig. Nur einen spontanen Rücktritt schloss er am Sonntagabend aus. "Ich werde in Ruhe darüber nachdenken. Ich habe jetzt einen heftigen Kater genau so wie alle Fans."
Zugleich stahl sich der ehemalige Weltklasse-Verteidiger nicht aus der Verantwortung für den - wieder einmal frühen - K.o. nach einer gar nicht so schlechten Gruppenphase mit drei Siegen, darunter einem ungefährdeten 2:0 gegen Österreich. "Ich übernehme die Verantwortung dafür, dass die Spieler nicht ihr übliches Level erreicht haben", meinte er. "Man kann mir die Schuld geben."
Und das taten die Medien am Montag auch. "Oranje bezahlt die Dummheit de Boers teuer", titelte die Zeitung "De Telegraaf". Die Tschechen seien vom Niveau her vergleichbar mit dem FC Groningen, also einem Mittelklasseteam in der niederländischen Liga. Und dieses Team habe ausgereicht, um De Boer zu demaskieren. "Statt aufzubauen auf der Arbeit von Koeman schmiss De Boer alles, wofür die holländische Schule steht, ein paar Wochen vor der EM einfach so in die Amsterdamer Grachten." De Volkskrant legte nach: "Ängstliches Oranje verspielt Identität mit Zufallsfußball. Das muss sich Coach Frank de Boer anrechnen lassen."
Es kann vermutet werden, dass die Blätter damit nur die kollektive Stimmung im Land wiedergeben. Keine Fans, keine mediale Unterstützung und kein durchschlagender Erfolg - es würde überraschen, wenn das Kapitel De Boer, der erst im September den zum FC Barcelona gewechselten Ronald Koeman beerbt hatte, nicht schon vor der persönlichen Jahresfrist wieder beendet ist.
Von rasantem Angriffsfußball, den die Oranje-DNA eigentlich vorgibt, war im ersten K.o.-Spiel wenig zu sehen. Das lag natürlich auch daran, dass die Niederländer ab der 55. Minute in Unterzahl spielten, nachdem Star-Verteidiger Matthijs de Ligt als letzter Mann im Zweikampf mit Patrik Schick wegen Handspiels die Rote Karte nach Videobeweis bekommen hatte.
"Das ganze Spiel war hart. Irgendwie sind wir nicht damit klargekommen, wie sie uns unter Druck gesetzt haben", beklagte Oranje-Kapitän Georginio Wijnaldum. "Wir konnten keine Räume schaffen." Tomas Holes von Slavia Prag (68.) und Schick (80.) mit seinem vierten Turniertreffer schossen einen individuell limitierten, aber als Kollektiv funktionierenden Außenseiter aus Tschechien ins erste EM-Viertelfinale seit 2012. Dort wartet am Samstag in BakuDänemark.
2004 bezwang Tschechien die Skandinavier im EM-Viertelfinale sogar mit 3:0 und zog ins Halbfinale ein. Assistent des späteren ÖFB-Teamchefs Karel Brückner war damals der aktuelle Nationaltrainer Jaroslav Silhavy. "Das wird ein sehr schweres Spiel", warnte der 59-Jährige, nicht ohne Selbstbewusstsein: "Als Mannschaft können wir auch Dänemark überraschen."
Genauso sieht das Angreifer Schick. "Wir haben die Niederlande geschlagen, warum sollen wir nicht auch Dänemark bezwingen?" Die Euphorie in Österreichs Nachbarland ist da. "Ausgezeichnete Arbeit, die Herren! Und jetzt mit Gebrüll auf die Dänen!", schrieb "MF Dnes".