In der Stadt, die in Österreich niemals ohne den Zusatz „Schande“ ausgesprochen werden darf, in der nordspanischen Industriestadt Gijon am Golf von Biskaya, wurde zwölf Jahre vor der Schande Luis Enrique geboren. Er zog aus Asturien weg, ging in die Metropolen Madrid und Barcelona und wurde sowohl mit Real, als auch mit Barcelona mehrmals spanischer Meister, kam aber für die Jahrhunderttruppen von Guardiola oder Zidane jeweils zu früh: Die Champions League gewann er nie, weder mit Barcelona, noch mit Real. Kaum hatte Enrique einen Großklub verlassen, war es dann mit den Triumphen soweit.
In der Furia Roja, dem stolzen spanischen Nationalteam, spielte Luis Enrique über ein Jahrzehnt lang, bevor er 2002 nach der WM in Japan/Südkorea zurücktrat. Beim WM-Viertelfinale in den USA hatte ihm der Italiener Tassotti hinter dem Rücken des Schiedsrichters den Ellenbogen ins Gesicht gerammt und das Nasenbein gebrochen. Dass Tassotti später für acht Spiele gesperrt wurde, davon hatte Luis nicht viel. Für das spanische Jahrhundertteam, das in Wien 2008 und Kiew 2012 zweimal hintereinander Europameister und dazwischen in Johannesburg 2010 Weltmeister wurde, kam er zu früh. Aber 2010 wurde Luiz Enrique Vater seiner Tochter: Das war das Größte überhaupt!
Dann ging es abwärts mit der roten Furie, die Tiki-Taka-Helden der goldenen Generation verabschiedeten sich nach und nach und wurde nicht adäquat ersetzt. Nach der enttäuschenden WM in Russland 2018 wurde Luis Enrique zum Chef der Furia Roja bestellt und in Spanien meinte man, diesmal sei er nicht zu früh, diesmal sei er zur rechten Zeit am rechten Ort. Und dann brach plötzlich alles weg. Eine furchtbare Geschichte, die nicht für die Augen der Welt bestimmt war. Luis Enrique nahm sich eine Auszeit und stellte sein Amt im März 2019 zur Verfügung. Der Präsident des Fußballverbandes sprach unverbindlich von „privaten Gründen“. In Hollywood-Produktionen gibt es in solchen furchtbaren Geschichten immer eine dramatische Wendung, und sie gehen, und sei es noch so märchenhaft und unglaublich gut aus. Bei Luis Enrique nicht. Ende August 2019 starb seine Tochter im Alter von 9 Jahren an Knochenkrebs.
An dieser Stelle, wenn eine Geschichte ihre schlimmstmögliche Wendung genommen hat, könnte nur noch die Literatur etwas über eine Vaterseele sagen. „Es gibt kein Hinauf mehr“, flüsterte Arthur Schnitzler nach seiner ähnlichen Tragödie und vegetierte seinem Tod entgegen. Im November 2019 übernahm Enrique das spanische Team wieder. Einerseits ist ihm egal, ob die Furia Roja Europameister wird, weil ihm alles egal ist und weil es kein Hinauf mehr gibt. Andererseits ist die Furia Roja alles, was ihm geblieben ist und woran er sich klammert auf diesem trostlosen Planeten …
Vamos la furia roja!
Egyd Gstättner