Der Schock saß tief am Samstagabend. Die Bilder des reglos am Boden liegenden Christian Eriksen gingen noch um die Welt, als die Entscheidung fiel: Weiterspielen. Die dann insgesamt für 107 Minuten unterbrochene Fußball-EM-Partie zwischen Dänemark und Finnland wurde noch am Abend fortgesetzt. Der dänische Verband hatte zuvor mitgeteilt, der 29-Jährige sei bei Bewusstsein.
In die emotionale Diskussion darüber, ob der Beschluss zum Wiederanpfiff richtig oder falsch war, schalteten sich auch frühere Nationalspieler ein.
Wie wurde die Entscheidung getroffen?
Maßgebend ist die Vorgabe der Europäischen Fußball-Union UEFA. Nach übereinstimmenden Aussagen beider Mannschaften waren es die Spieler, die zurück auf den Rasen wollten. "Wir hatten zwei Optionen: Das Spiel fortzusetzen oder morgen um 12.00 Uhr zu spielen. Aber jeder wollte heute weiterspielen", sagte Dänemarks Teamchef Kasper Hjulmand am Samstagabend nach dem Spiel, das die Dänen mit 0:1 verloren. Beteiligte beider Teams berichteten am Abend, dass es Eriksens Wunsch gewesen sei, die Partie zu beenden. Der Starspieler soll per Videotelefonie aus dem Krankenhaus mit seinen Teamkollegen gesprochen haben, ehe die Entscheidung fiel.
"Die Spieler waren sich sicher, heute nicht mehr schlafen zu können. Morgen zu spielen, hätte die Situation noch schwerer gemacht", sagte Hjulmand. "So haben sie beschlossen, es hinter sich zu bringen. Das war ihre Entscheidung." Mit einem Tag Abstand bekannt Hjulmand dann, dass es ein "Fehler" gewesen sei, weiterzuspielen. "Die Spieler standen unter Schock. Wir reden über Spieler, die in dem Moment nicht wussten, ob sie ihren besten Freund verloren haben", sagte Hjulmand am Sonntag. "Für die Spieler war die Entscheidung sehr schwierig. Ich habe aber das Gefühl, dass es in dieser Situation falsch war."
Welche Entscheidungsfreiheit ließ die UEFA beiden Mannschaften?
Der Dachverband verwies am Sonntag auf die Frage, welche Möglichkeiten es abseits der Spielverlegung auf Sonntag gegeben hätte, auf das eigene Regelwerk. Dieses legt grundsätzlich das Vorgehen bei der "Neuansetzung von Spielen" (Artikel 29) fest, nicht aber, wie nach medizinischen Notfällen wie im Parken Stadion von Kopenhagen zu verfahren ist.
"Kann ein Spiel nicht wie geplant beginnen oder nicht zu Ende gespielt werden, werden das vollständige Spiel bzw. die verbleibenden Spielminuten grundsätzlich am folgenden Tag ausgetragen", schreibt der Dachverband vor. Kann ein Spiel nicht am nächsten Tag neu angesetzt werden, legt die UEFA einen neuen Termin "während oder möglichst nahe an der betreffenden Länderspielperiode fest".
Während der EM lässt der Terminkalender allerdings kaum Spielraum zu. Die Finnen treten bereits am Mittwoch (15.00 Uhr) gegen Russland an, das nächste dänische Spiel gegen Belgien soll am kommenden Donnerstag (18.00 Uhr) angepfiffen werden.
Was wäre passiert, wenn die Dänen die Partie hätten abbrechen wollen?
Grundsätzlich legt die UEFA fest: "Weigert sich ein Verband zu spielen oder kann ein Spiel aus Verschulden eines Verbands nicht oder nicht vollständig ausgetragen werden, entscheidet die UEFA-Kontroll-, Ethik- und Disziplinarkammer über diese Angelegenheit." Auch in diesem Artikel ("Weigerung zu spielen und ähnliche Fälle") ist der Umgang mit einer solchen Extremsituation wie nach dem Schock um Eriksen nicht festgelegt. Ob die Partie in diesem Fall für die Dänen als verloren gewertet worden wäre, bleibt daher zunächst Spekulation.
Wer übt welche Kritik an der Entscheidung?
"Ich finde es falsch, eine Entscheidung so kurz nach einem emotionalen Ereignis treffen zu müssen", sagte Dänemarks Fußball-Legende Michael Laudrup als EM-Experte des dänischen Fernsehsenders TV3+. Wenn so etwas passiere, seien die Spieler "voller Emotionen und haben nicht die Übersicht, um wichtige Entscheidungen zu treffen. Es muss jemanden geben, der dann sagt: Wir hören hier auf." Die Kritik der dänischen Tormann-Ikone Peter Schmeichel, Vater des aktuellen Nationalkeepers Kasper Schmeichel, ging in eine ähnliche Richtung.
Wird es Änderungen geben?
UEFA-Chefmediziner Tim Meyer sieht keine unmittelbare Notwendigkeit für neue Sicherheitsvorkehrungen bei den EM-Spielen. "Es ist noch sehr früh, aber ich sehe keinen Ansatzpunkt für Konsequenzen", sagte er. "Es war offenbar ein kardiales Ereignis. Und von Vorteil, dass ein Notarzt direkt am Spielfeldrand war, um entsprechende Maßnahmen zu veranlassen. Das hat funktioniert", sagte der 53 Jahre alte Mediziner. Im Fußball würden die europäischen Mindestanforderungen für die Notversorgung übererfüllt. "Man kann nicht mehr tun, als einen Notarzt am Spielfeldrand zu platzieren."