Pro: Warum es für einen Aufstieg reichen wird
Unberechenbarkeit und Arnautovic als Trümpfe
Niemand kann sich aktuell auf das ÖFB-Team einstellen. Dazu kann Marko Arnautovic ein Spiel alleine entscheiden.
1. Außenseiterrolle: Die Erwartungshaltung in Österreich ist aufgrund der zuletzt eingefahrenen Ergebnisse mehr als bescheiden. Vielleicht kann die Mannschaft mit dieser neuen Rolle besser umgehen. Man kann sich schließlich noch gut daran erinnern, als die Euphorie im Jahr 2016 in Überheblichkeit umschlug.
2. Hungrige Spieler: Acht Akteure im 26-Mann-Kader haben schon 2016 die Negativerfahrung bei einer EM gemacht. Sie wollen wie der Rest Geschichte schreiben und erstmals mit Österreich in das Achtelfinale einziehen – im Idealfall kombiniert mit dem ersten EM-Sieg.
3. Unberechenbarkeit: 2016 kam das Vorrunden-Aus auch deshalb zustande, weil jeder wusste, welche Startelf Teamchef Marcel Koller in der 4-2-3-1-Formation gegen Ungarn auf das Spielfeld schickt. Das hat sich unter Franco Foda grundlegend verändert. Die Startaufstellung der Österreicher kann nicht vorhergesagt werden, was auch der Coronapandemie und unzähligen Ausfällen in den letzten Monaten geschuldet ist. Mit Torhüter Daniel Bachmann, Aleksandar Dragovic, Martin Hinteregger, David Alaba, Marcel Sabitzer und Christoph Baumgartner gibt es aktuell nur sechs Akteure, die für die Auftaktbegegnung am Sonntag gegen Nordmazedonien gesetzt sind. Sind Marko Arnautovic und Konrad Laimer fit, stehen sie genauso in der Startelf. Diese Unberechenbarkeit könnte sich als große Stärke entpuppen, weil sich die Gegner nicht darauf einstellen können, mit welchen Kontrahenten sie es zu tun haben und in welcher Formation (etwa Dreier- oder Viererabwehrkette) die Österreicher in das Spiel gehen.
4. Gruppengegner: Die Niederlande gilt als Favorit in Gruppe C. Dahinter darf ein offener Schlagabtausch zwischen Österreich, Ukraine und Nordmazedonien erwartet werden. Geht man strikt nach der FIFA-Weltrangliste, der oft jene Aussagekraft nachgesagt wird wie Marktwerten, ist Nordmazedonien auf Rang 62 der schwächste EM-Teilnehmer. Andererseits erzählen die jüngsten Ergebnisse eine andere Geschichte. Nordmazedonien siegte etwa in Deutschland in der WM-Qualifikation 2:1. Die Ukraine bezwang in der Nations League Schweiz (2:1) und Spanien (1:0) und holte in der WM-Quali in Frankreich ein 1:1.
5. Marko Arnautovic: Das Testspiel gegen Slowakei hat eindrucksvoll gezeigt, dass der 32-Jährige in der Offensive über für österreichische Verhältnisse außergewöhnliche Fähigkeiten verfügt. Der China-Legionär ist nicht mehr in der Lage, auf dem Flügel zu spielen, und verändert durch seine eingeschränkte Lauffähigkeit die Charakteristik im ÖFB-Team. Die individuelle Klasse spricht aber für „Arnie“.
Contra: Warum es nicht für einen Aufstieg reichen wird
Formschwäche und viele Problemzonen
Mit David Alaba gibt es nur einen Weltklassespieler. Erfahrung, Geschwindigkeit und ein Torjäger fehlen.
1. Aktuelle Form: Die zuletzt gezeigten Leistungen offenbarten, dass einige Spieler nicht in Topform agieren. Die eigentlichen Stammkräfte Stefan Lainer (gegen England), Christopher Trimmel und Valentino Lazaro (gegen Slowakei) haben wenig Eigenwerbung betrieben, weshalb der rechte Flügel eine echte Baustelle bleibt. Links hinten sorgen weder Andreas Ulmer noch Marco Friedl für optimistische Aussichten. Konrad Laimer und Christoph Baumgartner haben erst kürzlich Verletzungen ausgeheilt und sind noch nicht bei 100 Prozent. ÖFB-Teamkapitän Julian Baumgartlinger, dessen Führungsqualitäten für das ÖFB-Team unbezahlbar sind, geht nach seiner schweren Kreuzbandverletzung noch die Spielpraxis ab.
2. Mangelnde Qualität: Österreich gehört wie 13 andere Nationen nicht zu den Favoriten. Zwar gibt es viele Legionäre, aber mit David Alaba nur einen einzigen, der zur Weltklasse zählt. In den drei besten Ligen der Welt (England, Spanien, Italien) spielte in der abgelaufenen Saison kein ÖFB-Teamakteur. Zudem waren mehrere Kicker nicht einmal Stammspieler bei ihren Klubs.
3. Fehlende Erfahrung: Nur acht Akteure (David Alaba, Marko Arnautovic, Marcel Sabitzer, Martin Hinteregger, Aleksandar Dragovic, Julian Baumgartlinger, Stefan Ilsanker und Alessandro Schöpf) verfügen über Endrundenerfahrung – leider nur eine kurze und wenig erfolgreiche in der Vorrunde der EM 2016.
4. Kein Torjäger: Sasa Kalajdzic hat ein gutes Jahr beim Bundesliga-Aufsteiger Stuttgart (16 Ligatreffer) hinter sich und immerhin drei Länderspieltore erzielt. Seine Flaute sorgte aber auch dafür, dass Österreich seit 316 Minuten auf einen erzielten Treffer warten muss. Michael Gregoritsch traf in Augsburg in der abgelaufenen Saison genau ein Mal ins Schwarze und vergab in England eine Topchance. Auch Karim Onisiwo erwies sich bislang im ÖFB-Trikot (ein Tor) nicht als Scharfschütze. So ruhen die Hoffnungen auf dem nicht (mehr) topfitten Marko Arnautovic, der in doppelt so vielen Länderspielen wie das erwähnte Trio zusammen rund drei Mal so oft traf.
5. Fehlende Ausgewogenheit: Der ÖFB-Teamkader verfügt über mehrere qualitativ hochwertige Innenverteidiger und zentrale Mittelfeldspieler. Die Flügelpositionen gehören aber sowohl defensiv als auch offensiv zu den absoluten Problemzonen. Vor allem in puncto Geschwindigkeit kann Österreich auf Topniveau nicht Schritt halten.
Michael Lorber aus Seefeld