Es ist ein Drama, zugespitzt auf den Moment. Ein schmaler Grat zwischen Held und Versager. Aber vor allem die Gewissheit, dass es einen Sieger gibt: Das Elfmeterschießen revolutionierte den Fußball; im positiven Sinn, auch wenn viele nach wie vor nicht begeistert darüber sind, dass nach 120 Minuten der Sieger auf so grauslich brutale und plötzliche Weise bestimmt wird. Ungeachtet der zwei Stunden auf dem Feld davor.

Das war nicht immer so: Zuvor wurden Spiele nach der Verlängerung jahrzehntelang per Los oder Münzwurf entschieden. „Das ist sportlicher Betrug, das ist glatter Blödsinn“, sagte der 1916 in Frankfurt am Main geborene, gelernte Friseur Karl Wald einmal.

Wald war Amateurschiedsrichter, geboren im oberbayrischen Penzberg. Logisch, denkt man sich, dass ein Deutscher seine Finger im Spiel hatte, waren die Deutschen doch oft genug an dramatischen Entscheidungen vom Punkt beteiligt. Oft mit besserem Ende, mitunter aber auch nicht. Wald war bei vielen dramatischen Entscheidungen mit dem besseren Ende seines Heimatlandes mit Stolz und Genugtuung dabei, ehe er 2011 im Alter von 95 Jahren verstarb. Seine Idee reicht aber weit über seinen Tod hinaus. In den 1960er-Jahren erdachte er das Elfmeterschießen und revolutionierte das Spiel. In Bayern wurde das neue Format exakt heute vor 50 Jahren, am 30. Mai 1970, vom Landesverband genehmigt.

Wald ließ das von ihm erdachte Format mit je fünf Elfmeterschützen pro Team heimlich bei Freundschaftsspielen testen. „Das war für ihn schon ein Ritt auf der Kanonenkugel, nicht ganz ungefährlich“, erinnert sich sein Enkel Thorsten Schacht heute. Sein Großvater habe „ganz schön Muffensausen“ gehabt, dass ihn irgendjemand vom DFB bei seinen heimlichen Tests erwischen könnte. „Schließlich wäre seine Schiedsrichter-Lizenz wohl weg gewesen“, meint Schacht.

Doch bei den Zuschauern stieß die neue Regel auf Begeisterung. „Die Leute wollen den Ball im Netz sehen“, sagte Karl Wald. Die Fans hätten sich in den 16-Meter-Raum gedrängt und hätten mitgefiebert, gejubelt mit den Siegern, gelitten mit den Verlieren, erinnert sich auch Schacht an Erzählungen seines Großvaters.

Zunächst musste Wald, der 1936 seine Referee-Lizenz erworben und selbst in der Oberliga-Süd gepfiffen hat, jedoch gegen heftigen Widerstand kämpfen. Die Führung des Bayerischen Fußball-Verbandes wollte seinen Vorschlag beim Verbandstag 1970 blockieren. „Meine Kameraden, ich bitte Sie, geben Sie dem Antrag grünes Licht, nach dem Motto, der Erfolg rechtfertigt alles, vielen Dank“, rief er den Delegierten damals zu. Als sich die Mehrheit schließlich pro Elfmeterschießen aussprach, war der Durchbruch am 30. Mai 1970 geschafft.

Wenig später übernahmen der Deutsche Fußball-Bund (DFB), bald auch der Europa- (UEFA) und der Weltverband (FIFA) die Neuheit – und die Fußball-Dramen nahmen ihren Lauf. Als erstes großes Turnier wurde die EM 1976 durch einen Elfmeter-Krimi entschieden. Uli Hoeneß schoss in den Nachthimmel von Belgrad, die CSSR wurde dank des legendären Lupfers von Antonin Panenka Europameister. Die Deutschen hielten sich für diese schmerzliche Niederlage oft genug schadlos, allein zwei Mal (WM 90, EM 96) gegen England.