90 Minuten türkischer Männerchorgesang - was vor zwei Wochen in Graz Fenerbahce Istanbul galt, sollte am Freitagabend den Stadtrivalen Galatasaray in Kapfenberg nach vorne treiben. Anders als gegen den SK Sturm ging es diesmal aber "nur" um einen Test gegen den deutschen Bundesligisten Hertha BSC. Immerhin 1518 Zuschauer wollten das Freundschaftsspiel der Istanbuler gehen die Berliner sehen.
So viele Wiener Kennzeichen hatte die Stadt in der Obersteiermark schon lange nicht mehr gesehen. Hunderte austro-türkische Galatasaray-Fans parkten rund um das Franz-Fekete-Stadion und zogen mit ihren rot-orangenen Trikots gut gelaunt ins Stadion. Während die Murauer-Tribüne eher spärlich mit Hertha-Fans und den neutralen Zuschauern besetzt war, saßen die Anhänger von Galatasaray dicht an dicht auf der vollbesetzten Haupttribüne. Entsprechend lautstark waren auch die Schlachtgesänge der Anhänger der Türken.
Für die Berliner war es der zweite und letzte Test im Rahmen ihres Trainingslagers in Schladming. Am Mittwoch hatte das Team Neftchi Baku in Schladming bereits mit 4:0 (2:0) besiegt. Während sich die Hertha auf ihre erste Gruppenphase in der Europa League seit acht Jahren vorbereitet, ist die Europapokalsaison für Galatasaray bereits vorbei. In der zweiten Qualifikationsrunde gab es für den türkischen Rekordmeister eine 0:2-Auswärtsniederlage und ein peinliches 1:1-Heimremis im Rückspiel gegen den schwedischen Pokalsieger Östersunds FK. Ein neuerliches Treffen mit den Berlinern in der Gruppenphase wie 1999 - damals allerdings in der Champions League - ist damit ausgeschlossen.
Die Herthaner waren allerdings noch ohne ihren jüngsten Neuzugang Valentino Lazaro nach Kapfenberg angereist. Der Steirer war am Tag zuvor noch zu medizinischen Tests in Berlin. Der Fünfte der Deutschen Bundesliga startete auch zwingender in die Partie. Bereits nach zwei Minuten erzielte der niederländische Neuzugang Karim Rekik nach einer Ecke per Kopf das erste Tor. Die Blau-Weißen, die in diesem Jahr ihr 125. Jubiläum feierten, starteten ebenso wie Galatasaray nahezu in Bestbesetzung. Bei Galatasaray spielte mit dem Deutsch-Türken Tolga Cigerci ein Ex-Berliner eine gute Partie gegen seine ehemaligen Kollegen.
In der zweiten Halbzeit kamen die Istanbuler etwas besser ins Spiel und hatten Pech, dass ihnen ein Handelfmeter verwehrt worden ist. In der 59. Minuten gelang dann auch dem Ex-Bundesliga-Spieler Eren Derdiyok der Ausgleich. Vedad Ibisevic gelang nach 74 Minuten der Siegtreffer zum 2:1. Als darauf das erste Mal die Hertha-Hymne aus den Lautsprechern drang, kommentierte ein mitgereister Berliner das lautstark mit: "Na, jeht doch". Zum ersten Mal kamen sogar Anfeuerungsrufe von der Berliner Anhängern - viele Sommerurlauber in der Steiermark.
Fünf Minuten vor Spielende machten dann die Galatasaray-Fans, die 90 Minuten unentwegt sangen, auch optisch auf sich aufmerksam. Rund ein Dutzend Bengalische Feuer erleuchteten die Haupttribüne um den Ultrablock dunkelrot. In der Folge hatten zahlreiche Sicherheitskräfte nicht nur alle Hände voll zu tun, weitere Pyros zu unterbinden, sie mussten auch etliche Fans davon abhalten, auf den Platz zu stürmen. Am Ende blieb es aber ruhig.
Galatasaray beginnt den Ligabetrieb am nächsten Montag gegen Kayserispor - übrigens wie die Berliner, die am kommenden Montag im DFB-Pokal gegen Hansa Rostock ihr erstes Pflichtspiel bestreiten. Der türkische UEFA-Cup-Sieger von 2008 ist seit Monaten in einem Formtief. In der vergangenen Saison reichte es in der Süperlig nur zu Platz vier, was auch am Abgang von zahlreichen namhaften Spielern schon vor der Saison zu tun hat. In diesem Sommer folgten weitere Stammspieler, die bislang nur mäßig nachbesetzt wurden. Immerhin gelang Stunden vor dem Spiel die Verpflichtung des brasilianischen Mittelfeldspielers Fernando von Manchester City.
Ingo Hasewend