Der Ball ruhte auf einem Weißbierglas. Und Franz Beckenbauer drehte sich noch einmal kurz um. Ganz so, als wolle er sich vergewissern, dass auch wirklich alle hinschauen im „aktuellen sportstudio“ des ZDF. Er traf den Ball mit rechts, der hoppelte ein, zwei Mal und landete unten in der legendären Torwand. Dem Mann schien wirklich alles zu gelingen. Zumindest mit dem Ball. Das Ganze geschah im Mai 1994. Beckenbauer hatte den FC Bayern München gerade zum Deutschen Meister gemacht – als Trainer. Kurz bevor er das Amt übernahm, hatte er noch erklärt: „Je länger ich darüber nachdenke, umso mehr stehe ich nicht zur Verfügung.“ So war Franz Beckenbauer. Immer für einen Spruch gut. Und immer für eine spontane Wende. „Firlefranz“, taufte ihn die „Süddeutsche Zeitung“.
Beckenbauer war ein Münchner Kindl. Der FC Bayern sein Verein. Der Fußballer, am 11. September 1945 geboren, wuchs als Sohn eines Postbeamten und einer Hausfrau im Arbeiterbezirk Giesing auf. Geld war knapp. Der Fußball alles. „Wir haben Altpapier und Alteisen gesammelt, um zu den paar Pfennigen zu kommen, die damals ein Lederball gekostet hat“, erinnerte er sich später. Mit 13 landete Beckenbauer beim FC Bayern München. Er machte den Klub zu einem Weltverein. Zunächst als Spieler, später als Coach, noch später als Präsident. Bayern war Beckenbauer. Das war die Gleichung.
Schon als Spieler einer der legendärsten
Schon als Spieler stieg Beckenbauer auf zu einem der legendärsten Fußballer Deutschlands: Fünf Mal deutscher Meister, vier Mal Pokalsieger, drei Titel im Europapokal der Landesmeister, Europameister 1972 und Weltmeister 1974 in München. Mehr geht nicht. Fritz Walter, Kapitän der Weltmeister-Elf von 1954, vermittelte Deutschland neun Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wieder ein neues Selbstwertgefühl. Günter Netzer galt mit seinem langen Haar im Willy-Brandt-Deutschland der 70er-Jahre als der Rebell des Fußballs. Aber Beckenbauer verlieh mit der Eleganz seines Spiels den Deutschen ein bis dahin ungeahntes Gefühl von Leichtigkeit. Dass sein FC Bayern die Heimspiele damals im luftig leichten Münchner Olympiastadion austrug, passte da nur ins Bild. Als er in einem Spiel gegen Schalke 04 den Ball mal eben kurz auf beiden Füßen tüpfeln ließ, verpasste ihm die Bild-Zeitung den Titel „Kaiser“. Franz, der Kaiser. Dabei blieb‘s.
Beckenbauer und sein Manager Robert Schwan entdeckten früh die neuen Möglichkeiten, die die Projektionsfläche Fußball bot. Ein früher David Beckham. Lieder wie „Gute Freunde darf niemand trennen“ wurden eingespielt. Werbevetrtäge von Maggi-Suppe bis zu Telefonanbietern folgten. Und natürlich das Marketing für ein bayerisches Weißbier.
Beckenbauer wurde in New York zum Weltmann
Zu perfekt für ein Leben. Mitte der 70er-Jahre ermittelte die Steuerfahndung. Auch die erste Ehe kriselte. Beckenbauer und seine neue Lebensgefährtin, die Sportfotografin Diana Sandmann, flohen nach New York. Der Kaiser kickte mit Pelé bei Cosmos New York, mit seiner Freundin hatte er einen Tisch im legendären Club 54. Beckenbauer war endgültig ein Weltmann.
Doch brauchte ihn der deutsche Fußball. 1984, nach der verpatzten Europameisterschaft, stieg Beckenbauer beim DFB ein. Einen Trainerschein hatte er nicht. So wurde er zum Teamchef befördert. Beckenbauer hatte immer eigene Regeln. Und Leute, die für ihn schufteten. Georg „Katsche“ Schwarzenbeck ließ ihn beim FC Bayern als Libero glänzen, Berti Vogts und Holger Osieck beim DFB als Trainer. 1990 bei der Weltmeisterschaft in Italien sollte die Krönung folgen: Kurz vor der Wiedervereinigung wurde die Bundesrepublik zum dritten Mal Weltmeister. „Geht‘s raus und spielt‘s Fußball“, soll Beckenbauers taktische Anweisung an die Elf gelautet haben. So einfach kann das Spiel sein. Zumindest für einen wie Beckenbauer.
Weltmeister als Spieler und Trainer
Beckenbauer war nach Mario Zagallo die zweite Person, der sowohl als Spieler als auch Coach den WM-Titel gewann. Ein weiterer Triumph sollte ihm gelingen: Als WM-Organisator holte er die WM 2006 nach Deutschland. Titel der Bewerbung: „Die Welt zu Gast bei Freunden.“ Was ein Turnier werden sollte, endete als Sommermärchen. Ein Land in Schwarz-Rot-Gold, versöhnt mit sich und der Welt. Auch ein Verdienst Beckenbauers. Doch blieb es nicht so märchenhaft. Im vergangenen Jahrzehnt kamen Recherchen ans Licht, die nahelegten, dass im Zuge der deutschen WM-Bewerbung unerlaubte Gelder geflossen sein sollen. Über Beckenbauer. Wie Helmut Kohl, ein anderer Großer der deutschen Geschichte, schwieg Beckenbauer zu den Umständen. Das machte es nicht besser.
Auch privat traf es den Kaiser. 2015 starb sein Sohn Stephan Beckenbauer. Bundesligaspieler und Trainer wie der Vater. Seinen Tod hat Beckenbauer nie verwunden. Verletzt und geprägt von Krankheiten zog er sich mehr und mehr zurück in seine Wahlheimat Salzburg. „Ich bin einfach glücklich, ihn als Bruder gehabt zu haben“, so Beckenbauers älterer Bruder Walter in der ARD-Dokumentation „Beckenbauer“.
Am Sonntag ist Franz Beckenbauer, die Lichtgestalt des deutschen Fußballs, im Alter von 78 Jahren in Salzburg gestorben. Das ganze Land ist glücklich, Beckenbauer gehabt zu haben.