Es ist keinesfalls übertrieben. Dominik Beier, der Sprecher des Vorstandes des Sportwettenanbieters Interwetten, sagt am Telefon, und man kann ihn dabei fast sarkastisch lächelnd vor sich sehen: „Unsere Branche, so sagte man immer, ist krisenresistent. Sportveranstaltungen haben immer stattgefunden. Einige wurden vielleicht verschoben, aber egal, was in der Welt passiert ist – irgendwo gab es immer Sport.“ Und dann kam der Tag, an dem praktisch über Nacht der gesamte Sport weltweit zum Erliegen kam. „Das“, sagt Beier, „hat es noch nie gegeben. Und dafür hat auch keiner einen Businesscase in der Schublade.“
Wie wahr. Denn darauf, dass es keinen Sport gibt, auf den man wetten kann, hätte man weltweit wohl keine einzige Wette platzieren können. Und wahr ist auch: „Wir leiden massiv unter dieser Situation. Es wird alle treffen in der Wertschöpfungskette, auch wenn wir lange versuchten, uns mit kreativen Lösungen über die Runden zu retten.“
Einbrüche von bis zu 90 Prozent
Was massiv heißt? Im Falle vontipp3, dem Anbieter der Österreichischen Lotterien, „rund zwei Drittel aller Wetter. Übrig bleiben nur die Stamm-Stammspieler, für die es zum Ritual gehört“, erklärt Geschäftsführer Philip Newald. Dabei bedeuten die „kreativen Lösungen“ mehr Aufwand, zuletzt gab es Spiele aus dem Nahen Osten, aus Weißrussland und Australien auf der Angebotsliste. „Und wir wollen unsere Kunden so gut wie möglich mit Daten versorgen, die mussten also auch für diese exotischen Ligen recherchiert werden.“ Dabei, sagt Newald, war man in seiner Firma nicht ganz unvorbereitet. „Wir haben uns interessanterweise vor zwei, drei Monaten intern über Szenarien unterhalten, ein Thema war auch, was passiert, wenn der Sport ganz wegbricht. Insofern waren wir organisatorisch vorbereitet.“
Aber die beste Vorbereitung hilft in diesem Fall wenig, speziell für Anbieter, die auch Wettlokale betreiben, wie für Admiral, Tochter des Novomatic-Konzerns. „Wir haben 260 Filialen in Österreich, vom Neusiedler- bis zum Bodensee – alle geschlossen“, erklärt Geschäftsführer Jürgen Irsigler. Rund 90 Prozent des Umsatzes sind von einem Tag auf den anderen weggefallen, erklärt er.
Zittern um die kleinen Nischenanbieter
„Es ist klar, dass es zurzeit Wichtigeres gibt, Sportwetten sind nicht der Nabel der Welt, es geht um Gesundheit“, sagt Sharif Shoukry, seit 2017 Geschäftsführer des Österreichischen Sportwettenverbandes, „letztlich sind Wetten aber ein Wirtschaftszweig wie viele andere auch. Und diesen Zweig trifft es derzeit sehr hart, weil auch das Ausweichen ins Online-Geschäft kaum möglich ist.“ Die großen Firmen, oftmals in Besitz von internationalen Konzernen, werden die Krise durchtauchen können, denkt Shoukry. „Aber es gibt in unserer Branche auch kleinere, regionale Firmen, so um die 20 in Österreich. Und die trifft es wirklich brutal“, erklärt Shoukry. Denn: „Im Moment kann ja wirklich noch keiner sagen, wann es weitergeht.“
Mit dem Einbruch der Wettbranche wird aber nur ein Kreislauf in Gang gesetzt. Denn über die letzten Jahre hat sich diese Branche, die traditionell in Österreich gut verankert ist (Bet-and-Win oder bet-at-home kamen, wie auch Sportdatenanbieter wie Sportradar, ursprünglich aus Österreich), auch zu einem der größten und wichtigsten Sponsorpartner des Sports an sich entwickelt. „Die seriöseste Antwort, die man geben kann: Es geht um Sponsorbeiträge in Millionenhöhe, auch in Österreich. Kaum ein großer Verein, eine Sportart, aber auch Verbände und Ligen, die nicht mit dem Wettsektor verbunden sind.“ Wie wahr: Beide Fußball-Bundesligen, viele Klubs, aber auch Basketball und andere Sportarten haben Wettanbieter als Namensgeber. Daher fürchtet Admiral-Chef Irsigler, auch Präsident des OSWV: „Um die großen Ligen und die großen Klubs muss man sich keine Sorgen machen. Aber Nebensportarten – Handball, Eishockey, Basketball – werden sich schwertun, weiter Sponsoren zu gewinnen.“
eSports? Virtual Sports? Sind keine Alternative!
Eine Ausweichvariante für die Wettfirmen wäre eSports, oder gar „Virtual Sports“, das Wetten auf simulierte Spiele. Wobei auch dieser Weg mehrere Haken hat. Zum einen ist eSports in Österreich kein Sport, damit fällt es unter sogenannte „Gesellschaftswetten“. Und diese wiederum sind, weil Wetten in Österreich Landessache ist, nur in sechs von neun Bundesländern erlaubt – Wien, Niederösterreich und das Burgenland verbieten solche Angebote. Zudem ist es mehr als fraglich, ob sich Wetter mit dem „elektronischen Sport“ anfreunden können. „Das“, weiß Irsigler, „wird meiner Ansicht nach nicht funktionieren. Die eSports-Community ist eine ganz andere als die Wetter auf realen Sport. eSports als solcher ist in einer Rangliste der Beliebtheit hinter 17 anderen Sportarten zu finden.“
Und zum anderen ist das Wetten auf „Virtual Sports“, auf computersimulierte Spiele, grundsätzlich untersagt, fällt diese Art doch hierzulande in die Kategorie „Glücksspiel“ und ist damit für Sportwettenanbieter tabu. Damit bleibt allen Anbietern nur eines: Die Hoffnung, dass alles bald vorbei ist – in welcher Form auch immer. „Uns geht es da wie den TV-Stationen. Wir würden auch Geisterspiele nehmen – Hauptsache, wir können Livesport anbieten“, sagt Beier, Präsident der Österreichischen Vereinigung für Wetten und Glücksspiel (OVWG). Irsigler bestätigt: „Die klassische Ergebniswette ist nur noch ein Bruchteil. Mehr als 70 Prozent aller Wetten sind Livewetten – dazu braucht es Livesport.“ Warum? „Weil das Wetten auch ein bisschen der Bespaßung dient, der Unterhaltung. Man darf ja derzeit auch nicht ins Kino oder ins Theater. Wir wollen schon die Livestreams zu den Wetten liefern, schon für das Erlebnis.“
Die Alternativen zum inflationären Angebot
Bleibt die Frage, ob die „Entschleunigung“, die so gerne gesehen wird, auch Auswirkungen auf den Sport an sich haben wird. Newald hofft sogar ein wenig darauf: „Ich selbst habe schon eine Übersättigung wahrgenommen, ein inflationäres Angebot. Wenn die Krise etwas Gutes hatte, dann die derzeitigen familiären Spieleabende am Montag. Das wird mir weiter lieber bleiben als das 27. Fußballspiel einer Topliga.“
Wann es die wieder geben wird? Das traut sich niemand zu sagen. Aber die meisten hoffen auf maximal vier Monate Sportpause.